Kanariengelb

KURZGESCHICHTE | Bank of the West steht auf dem Schild über mir. Die fast haushohen Scheiben der Glasfront am Eck der Kreuzung sind dreckig. Gelber Präriestaub klebt daran. Wie auf allem; der Bank des Wartehäuschens, dem Bürgersteig, vorbeifahrenden Autos, in den Haaren der Menschen. Er wird in meiner Lunge sein, da bin ich mir sicher. Die Schaufensteruhr im ‚The Gambler‘ gegenüber kündigt Highnoon an. Drei Shoshonen oder Arapahoe kommen aus der Tür des Spielsalons, die Arme um die Schulter des jeweils anderen gelegt, eine Flasche Whiskey klemmt in der Latzhose des einen, so wanken sie den Bürgersteig entlang nach Norden. Ich muss mich setzen. Die Hitze macht mir zu schaffen. Von rechts nähert sich hupend ein Pick-up, Dodge, drei Mann mit langen schwarzen Haaren in der Fahrerkabine, fünf hinten auf der Ladefläche, zwei Flaschen Whiskey in den Händen, halbleer. Sie singen etwas, eine Art Stammesweise mit monotoner Stimme. Der Fahrer versucht im Takt zu hupen. Es gelingt ihm nicht. Aus der rechts von mir liegenden Seitenstraße kommt ein Wagen der Stammes-Polizei und folgt dem Dodge unaufgeregt. Ich verliere beide aus den Augen.
Auf meinen Boots sammelt sich langsam aber stetig der Staub. Rucksack, Jacke, alles wird gelb. Straße, Gebäude, das ganze Land mutiert zu einer gelben Einöde. Seit einer Stunde müsste ich im Shuttle nach Cheyenne sitzen, den Wind der Klimaanlage genießen, mit angewinkelter Rückenlehne vor mich hindösen und der Dinge harren, die da kommen. Stattdessen beobachte ich Menschen, die sich von Whiskey ernähren, einer prall gefüllten Tüte Donuts oder mit Käse überladener Riesenpizza. Und die Menschen reden nicht. Mal ein Nicken, ein Heben der Hand, das war’s. Ich wurde vergessen. Anders kann es nicht sein. Der Wind River Shuttle Service kann mich mal. Irgendwie muss ich jetzt nach Cheyenne kommen und von dort aus weiter nach Denver, sieben Stunden entfernt.
»Denver, Colorado«, sage ich, um jedenfalls eine Stimme zu hören. Es knirscht im Mund beim Sprechen. Auf den Boden spucken verbietet meine Erziehung, also nix wie in den Magen mit dem gelben Staub. Ein Wagen bremst und rutscht an die Bürgersteigkante. Der Schlag lässt das Lenkrad wackeln. Der Wind River Shuttle Service. Die Fahrerin dreht den Kopf, einen Donut zwischen den Lippen. Sie kneift die Augen zusammen und winkt hastig. Ich könnte mir ja jetzt Zeit lassen, aber schon verschwindet der nächste Donut in ihrem Mund. Einer mit Himbeerglasur, wie es aussieht. Sie steht unter Druck.
»Na schön«, sage ich zum Wartehäuschen, stehe auf, strecke mich, gähne in ihre Richtung, nehme Rucksack und die Fotoausrüstung. Beides kommt auf die Rückbank, damit ich es im Auge behalten kann.
»Hi«, höre ich sie sagen, während ich den Staub von den Hosenbeinen klopfe. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Das gelbe Zeug landet auch auf den restlichen drei Donuts in der Schachtel auf ihrem Schoß. »Möchten Sie einen?« Sie zieht auffordernd die Augenbrauen nach oben und nickt zu den Teigringen. Bunte Zuckerkügelchen, eine grüne und eine blaue Glasur.
»Nein, danke. Ich habe es etwas eilig.«
»Oh! Natürlich, Sir!« Sie legt die Schachtel nach hinten, ein Schulterblick folgt, Schalthebel am Lenkrad aus der Parkstellung und es geht los. Mit 30 Meilen in der Stadt. Über die Kreuzung, an den flachen Bauten vorbei, rote Ziegel, Shop closed, For Sale-Schilder, die Straße breit wie ein Highway. Am Ortsausgang der Pizza Hut auf der linken Seite und rechts ein überdimensioniertes Schild: See you soon in Lander, Wyoming. Mit Sicherheit nicht.


»Mögen Sie keine Donuts?«
»Ich esse lieber salzig statt süß.«
Das Lenkrad ist zu hoch gebaut. Oder sie zu klein. Sie kann gerade so über das abgegriffene Kunstleder schauen. Aber es ist nichts los auf der Straße, dem Highway 287 nach Cheyenne. Drei Fahrzeuge vor uns. Keine Trucks.
»Meine Name ist Susan, bitte nennen Sie mich beim Vornamen.«
»Gerne, Susan. Sagen Sie Henry zu mir.«
Susan ist sicher nicht größer als einen Meter sechzig. Mir fällt das aufblasbare Kissen unter ihrem Hintern auf. Den Trailerpark auf einem flach geschobenen Hügel sehe ich nur am Rand. Heruntergekommen, ehemals weiße Trailer, davor Pick-ups aus den Siebzigern. Ich würde gerne etwas lesen. Das Hinausschauen wird mich bald deprimieren.
»Henry, das ist aber ein alter Name. Was haben Sie für einen Dialekt? Ist das Schottisch? Oder Britisch?« Ein glucksendes Geräusch kann ich nicht vermeiden. Schottisch oder Britisch? Susan lächelt in einem fort. Ich glaube, sie ist freundlich. Das ist ihr Wesen und ein Lächeln die Antwort auf den Tag. Dazu passt das Gesicht. Rund, pausbäckig, rötliche Wangen, dunkelblonde Haare, zurückgekämmt und zu einem Zopf gebunden. Auf der Stirn ein Blendschutz von Burger King, von einem weißem Gummiband gehalten.
»Ich bin aus Deutschland.«
»Oh!« Mehr bringt sie nicht raus. Es muss in ihr arbeiten. Sie kaut an der Unterlippe. »Westdeutschland? Oder Ostdeutschland?«
»Westdeutschland. Aus Köln.«
Beim Wort Westdeutschland atmet sie erleichtert aus, die Wangen entspannen sich. Warum auch immer. »Ich habe gehört, Ostdeutschland gibt es nicht mehr.«
»Gibt es schon noch. Aber wir sind seit einem Jahr wiedervereinigt.«
»Oh! Das freut mich aber für Sie.«
»Danke«, sage ich und bin mir nicht sicher, ob ich das Gespräch sinnvoll fortsetzen kann. Ich bin davon ausgegangen, dass sogar die Pinguine in der Antarktis etwas von der deutschen Wiedervereinigung mitbekommen haben.
»Und wie lange waren Sie nicht mehr zusammen?«
»Vierzig Jahre.«
»Oh! Vierzig Jahre? Und wie alt sind Sie?«
»Ich bin 26.« Susans Kopf dreht sich mir zu. Sehr langsam. Der Blendschutz stößt gegen den Rückspiegel. Mit jedem Grad geht das Lenkrad mit. Wir steuern auf den Standstreifen zu. Sie bemerkt es rechtzeitig.
»Oh, meine Güte! Beinahe hätte ich uns umgebracht!« Sie kichert. »Erst 26!«, redet sie weiter, bevor ich etwas erwidern kann. »Sie sehen aber älter aus. Mindestens zehn Jahre.«
»Danke«, fällt mir nur ein. Ich könnte ihr schmeicheln. »Und Sie sind bestimmt 32 Jahre, so jung, wie Sie aussehen.« Das war ein Fehler. Sie lacht anfallartig und wir fahren Schlangenlinien. Zwei entgegenkommende Fahrzeuge benutzen die Lichthupe. Susan reißt sich zusammen und zieht gerade.
»Sorry, nein, ich bin schon 52, aber vielen Dank.« Dann wird sie ernst. »Ich möchte mich für die Verspätung entschuldigen. Etwas ist dazwischen gekommen. Sind Sie mir böse?« Wie könnte ich ihr böse sein? Einem so freundlichen Wesen …
»Nein, schon gut. Machen Sie sich keine Gedanken.«
»Sie werden mich nicht melden?« Jetzt drehe ich den Kopf. Wieder nagt Susan auf der Unterlippe.
»Melden? Macht man das so? Auf so eine Idee würde ich nicht kommen. Ich plane immer einen Zeitpuffer ein.« Das Lächeln. Ein dankbares? Sicher ein Teil der Steine, die von ihrem Herzen gefallen sind.
»Danke. Vielen Dank. Gott möge Ihnen das vergelten. Ich brauche den Job wirklich …«, sie schweigt und räuspert sich, als würde noch etwas kommen. Siebzig Meilen schnell sind wir, die Prärie gleitet vorbei, sekundenlanges Zögern. Dann endlich … »In Rawlins müssen wir noch jemanden abholen, der ebenfalls nach Cheyenne möchte. Da verlieren wir noch zehn Minuten.«
»Kein Problem, Susan.« Aus dem Lächeln wird ein Strahlen. »Warum sind Sie denn etwas später gekommen?« Schon frieren ihre Gesichtszüge ein. Falsche Frage? Tränen kommen und sie fährt spontan rechts ran, bremst zügig bis zum Stillstand. Ein nachfahrender Buick hupt ausdauernd, zeigt den Finger. Susan schaut sich um. Alles frei hinter uns. Mit dem rechten Ärmel wischt sie Tränen weg. »Alles in Ordnung? Wir können noch ein paar Minuten hier stehenbleiben«, schlage ich vor. Sie fährt weiter.
»Ich habe meinen Mann ins Krankenhaus gebracht«, sagt sie. Die Fettnäpfchen stehen zahlreich hier und ich tapse laufend hinein. Bevor ich jedoch mein Mitgefühl bekunden kann, läuft es aus ihr wie Wasser. »Er hat Krebs. Im Kopf, wissen Sie?« Susan ist wieder beim Sie.
»Ein Tumor …«, stelle ich fest. »Welcher Art?« Sie muss lange überlegen, nach den Worten suchen, die nicht wirklich eingängig und gebräuchlich sind.
»Er beginnt mit einem G, das weiß ich genau.«
»Ein Glioblastom …«
»Ja!« Susan starrt mich an. »So heißt er! Glioblastom … wer soll sich denn das merken? Ich doch nicht! Wissen Sie …«
»Henry.«
Die kleine Hand landet auf meinem Unterarm. Wie kühl sie ist. »Entschuldigung, Sir … Henry. Bin ein bisschen durcheinander.«
»Wissen Sie, welcher Grad hinter dem Wort Glioblastom steht? Eine römische Ziffer sollte auf dem Arztbericht vermerkt sein.« Susan nickt eifrig.
»Ja, Glioblastom, römisch vier. Ich glaube, das ist schlimm, oder?« Ich presse die Lippen zusammen. Was kann ich ihr jetzt sagen? Die Diagnose ist ein Todesurteil. Aussichtslos.
»Und weswegen hast du ihn ins Krankenhaus gebracht? Gibt es Begleiterkrankungen? So was wie eine Lungenentzündung?«
»Er war heute Morgen zehn Minuten ohnmächtig. Ich dachte schon, er sei …« Jetzt ist es an mir, meine Hand auf ihren Unterarm zu legen. Sie beobachtet, was ich tue und lächelt schmal, fast abwesend. »Meinst du, er wird wieder gesund?«
»In welchem Krankenhaus ist er denn?«
»In Cheyenne. Für mehr reicht unser Geld nicht.« Mein Blick geht zur Uhr. Susan schaut sich ein zweites Mal um, dann geht es weiter. Als die Tachonadel siebzig erreicht, aktiviert sie den Tempomat, holt mit einer Hand umständlich die Donut-Schachtel von der Rückbank und verdrückt einen nach dem anderen. Ich denke über das nach, was sie sagte. Das Geld reicht nur für Cheyenne. Im Frühjahr habe ich einiges über Wyoming im Brockhaus gelesen. Etwas über 500.000 Einwohner in einem Staat, der ein paar tausend Quadratkilometer größer ist, als das ehemalige Westdeutschland. Man kann es sich nicht vorstellen, doch vor den Autoscheiben ist es klar zu sehen. Hier ist nichts. Trockenes, sandgelbes Gras in welligem Gelände so weit das Auge reicht; und es reicht weit. Zwischendurch staubige Hänge, gelb oder manchmal rötlich. Zwei Autos kommen uns entgegen, keines vor uns. Braucht man da gute, erfahrene Ärzte?
»Ich mache vier Jobs, weißt du? Und trotzdem kommen wir nur bis Cheyenne.«
»Vier Jobs?« Hat sie das wirklich gesagt? »Wie denn das?«
»Tagsüber fahre ich das Shuttle, von acht bis fünf Uhr etwa, dann gehe ich putzen, aber nur zwei Stunden. Abends stehe ich in der Krankenhaus-Wäscherei, Bettwäsche und Dienstkleidung waschen, bügeln, zusammenlegen. Gegen eins in der Nacht komme ich nach Hause. Und am Wochenende jobbe ich in einem Haushalt. Bei reichen Menschen. Aber es sind herzensgute Mormonen und sie zahlen gut.« Ein ums andere Mal bin ich drauf und dran, etwas zu erwidern, aber das kann ich nicht tun. Nicht ich lebe hier. Was weiß ich schon von Susans Leben? Also bleibt mir nur die Frage.
»Und welchen dieser Jobs hast du gemacht, bevor dein Mann krank wurde?«
»Keinen davon. Ich war Bürokraft bei einem Versicherungsmakler, nachmittags Hausfrau. Eigentlich wollten wir Kinder und in einem Trailer leben. Das war unser Traum. Unterwegs sein. Dorthin, wo es schön ist.«
»Und was hat dein Mann gearbeitet?«
»Er war stolzer Trucker mit eigenem Fahrzeug. Zuerst, dann gingen die Geschäfte schlecht, wir mussten den Mack verkaufen und er hat bei der Uran-Minen-Company angefangen als Fahrer.« Ich hoffe, das richtig verstanden zu haben … bei der Uran-Minen-Company?
»Da wird Uran abgebaut, nehme ich an, oder?« Susan schaut einen Moment verwundert; aber eher durch mich hindurch. Wieder verzieht sie das Lenkrad, merkt es aber sogleich.
»Ja, er hat Uranhexafluorid gefahren. Daraus macht man Yellowcake …« Sie zögert kurz. »So heißt das wohl. Genau weiß ich es nicht. Aber es ist für die Bomben.«
»Aha.« Mehr bringe ich nicht raus. Uranhexafluorid, Yellowcake, so was wie Käsekuchen, oder? Für die Bomben. In diesem endlosen Grasland? Über das einstmals Millionen von Bisons zogen? »Und jetzt hat er Krebs«, sage ich leise. Sie nickt und weiß, auf was ich hinaus will. »Mein Vater hatte auch Krebs«, gestehe ich ihr. »Glioblastom, Klasse IV.«
Susan presst die Lippen aufeinander. Ihre gedachte Frage lautet, ob mein Vater noch lebt? Wie es ihm geht? Wie lange es gedauert hat? Stattdessen hustet sie künstlich, verkneift sich die Tränen. Nur das Schimmern in den Augen lassen mich ihre Furcht erkennen. Die Furcht vor dem Tod, der so nahe kommt.
»Hatte?« Ein Seitenblick von ihr, aber keine Antwort von mir. »Hat deine Mutter auch so viele Jobs gemacht? Und du? Hast du auch gejobbt?«
»Nein. In Deutschland gibt es eine Krankenversicherung. Und es ist egal, in welches Krankenhaus du gehst.«
»Wirklich?«
»Wirklich.«
Sie schweigt. Es geht eine lang ansteigende Bodenwelle hinauf. Von oben kann man in die Endlosigkeit blicken. Wellen auf Wellen braunes Gras. Kein Baum. Kein Strauch. Einfach nichts. Der Anblick bedrängt mich, presst tausend Nadeln in meinen Körper. Ich kann dem nicht ausweichen. Höchstens die Augen zumachen, aber das ist mir zu gefährlich, wenn Gefahr besteht, das Lenkrad zu verziehen. Den Tod möchte ich schon kommen sehen.
»Können wir irgendwo anhalten? Ich muss mal auf die Toilette.«
»Gleich sind wir in Sweetwater Station. Da gibt es einen Rastplatz.«
»Sweetwater Station, das hört sich gut an. Wie in einem John-Wayne-Film.«
Susan lacht.


Eine große Tafel mit viel Text. Was es hier alles gibt und gab, im Sweetwater River Valley. Valley ist übertrieben. Eine breite Mulde oder Senke. Vielleicht hat es an anderer Stelle Talcharakter, hier ist es nur ein Rinnsal im Staub. Es fließt immerhin Wasser. Ich warte an den Wagen gelehnt auf Susan, die mit kurzen Trippelschritten auf mich zukommt, die Kofferraumklappe öffnet und eine große Karte aus der Seitentasche zieht. Sie wird doch wissen, wie wir fahren müssen? Es gibt hier nur eine Straße, da kann nicht viel passieren. Lächelnd marschiert sie an mir vorbei und entfaltet die Karte auf der Motorhaube. Eine recht kleinmaßstäbliche, präzise Übersicht von Nord- und Südamerika. Sehr präzise gedruckt. Höhenlinien sind eingezeichnet und mit einem Farbverlauf zum Hellen mit zunehmender Höhe.
»Sehr schöne Karte«, sage ich und Susan freut sich.
»Danke. Mein Mann und ich sind sehr stolz darauf.«
»Aber wir fahren ja nicht nach der Karte, oder?« Sie packt meinen Unterarm und lacht. Es tut ihr sichtlich gut. Sie wird viele dunkle Gedanken in sich tragen. Furcht und Ungewissheit.
»Wo genau ist denn jetzt Deutschland?«
»Wie?« Ich habe die Frage wohl falsch verstanden. Der Dialekt.
»In zwanzig Jahren wären wir in Rente gegangen, und da wollten wir so viel wie möglich angespart haben, um all die Länder zu besuchen hier. Und ich habe schon so viel von Deutschland gehört, dass es sehr schön sei … aber es ist ja ein kleines Land. Und ich habe es noch nicht gefunden auf der Karte.«
»Verstehe.« Ich will ernst bleiben und zeige auf Boston, Massachusetts. Dann gehe ich langsam auf die Fahrerseite, zeige so gut es geht auf Boston. Vor dem Außenspiegel bleibe ich stehen und ziehe den Finger einen Meter vom Wagen weg. »Ungefähr hier ist Deutschland.« Dann wieder ein Stück Richtung Karte. »Frankreich.« Noch ein Stück. »Vereinigtes Königreich, Irland.« Nach rechts, Richtung Heckklappe. »Island, Norwegen, Schweden.«
»Oh!«, rutscht es Susan raus, mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wir hätten mit dem Flugzeug fliegen müssen?«
»Von Denver aus an einen der großen Flughäfen der Ostküste und dann nach Frankfurt. Etwa acht Stunden insgesamt.«
»Oh! Dann …« Sie schweigt und faltet die Karte zusammen.
»Macht ja nix, besucht mich bald und ich zeige euch Deutschland und koche für euch. Ich bin ein guter Koch.«
»Wirklich?«
»Klar, die Zeit werde ich mir nehmen.« Susan lässt die Karte auf die Motorhaube fallen und umarmt mich. Ich kann sie nur halten.
»Gott liebt dich«, sagt sie. »Du bist ein guter Mensch.«
»Ich bin sicher, er liebt euch beide auch«, erwidere ich und fühle mich mies. »Wir müssen weiter, Susan. Der Überland-Bus nach Denver wird nicht auf mich warten. Ich kann auch fahren, wenn du dich ausruhen möchtest«, schlage ich vor. Sie lacht und winkt ab. Wir steigen ein, fahren auf den Highway und sie deutet nach rechts.
»Das da drüben ist ein Teil des Mormonen-Trails. Hier haben sie den Fluss überquert auf dem Weg nach Westen.«
»Ich weiß wenig über Mormonen. Sie wurden teilweise verfolgt und sind nach Utah an den Salt Lake, nicht wahr?«
»Ich denke schon. Wir haben wenig mit Mormonen zu tun. Mein Mann und ich sind bei einer Baptisten-Gemeinde in Cheyenne. Und du? Bist du auch in der Kirche?«
»Bin in der protestantischen Kirche in Deutschland«, sage ich ohne Zögern und will mich ohrfeigen. Warum diese Lüge? Ausgetreten bin ich und Mormonen, Baptisten oder sonstige -isten, das sagt mir alles nichts. Ich denke an Vater. Dreieinhalb Jahre Tumor. Ein Viertel vom Hirn weg. Herausgeschnitten und entsorgt. Einen Teil seines Selbst, seiner Erinnerungen. Plötzlich landen 30 Prozent deines bisherigen Lebens im Krankenhausmüll. Und ein großes Stück der Persönlichkeit. Charakter, einfach mit dem Skalpell entfernt. Am Ende stirbt man doch. Alles umsonst. Das ist auch ein Teil von Susans Leben. Sie schuftet für den schon verlorenen Endkampf.
»Das ist schön«, erwidert sie nach kurzer Zeit. »Die Menschen müssen glauben. Das ist der Teil unseres Lebens, den wir erfüllen müssen.«
»Erzähl mir von deinem Mann, Susan. Wir haben ja noch ein paar Stunden Zeit.« Sie schaut mich an, ohne das Lenkrad zu verziehen und lächelt.


Ich weiß jetzt so gut wie alles über Susan und Richard. Bei den Baptisten in Cheyenne kennengelernt, verlobt, verheiratet und viele Träume. Viele Kinder existieren in den Träumen. Aber sie kamen nicht. Gott hatte kein Einsehen. Andere Pläne, wie Susan sagte. Die Wege des Herrn … aber die Wege des Herrn haben beide nie aus Cheyenne herausgeführt. Uranhexafluorid fahren, von der Mine bei den Pumpkin Buttes an der Grenze zu Montana zur Anreicherung. Susan hat mir Bilder von Yellowcake gezeigt, dem Endprodukt. Ein so schönes Gelb habe ich noch nie gesehen. Wie die Kanarienvögel meines Onkels. Susan muss meine Gedanken gelesen haben. Kanariengelb, sagte sie beim Blick auf das Zeug in den Metalldosen, das in die Bomben gepackt wird. Tatsächlich bin ich irgendwann eingeschlafen und als Susan mich kurz vor Rawlins weckt, fallen mir als erstes die Bomben ein. Nicht weit weg, in Montana und Dakota, sind die Silos. Minuteman. Ich bin dem physischen Wahnsinn nahe. Auf der Stelle will ich verschwinden.
»Du hast aber einen tiefen Schlaf, Henry. Bist gar nicht aufgewacht, als es mal gewackelt hat. Ich hoffe, du hast gut geschlafen.«
»Es hat gewackelt?« Sie kichert und ich will es gar nicht wissen. Ich finde, das ist alles unbedeutend gegen tausende von Sprengköpfe um uns herum. »Wo sind wir?«
»Kurz vor Rawlins.«
Ich schaue hinaus. Die Sonne steht noch zwei Handbreit über dem Horizont. Im Dunst sind dort Schatten zu erkennen, Flächen von dunklerem Blau, scharf abgegrenzt vom Himmel. »Sind das da hinten die Rockys?« Susan nickt.
»Darf ich fragen, was du hier gemacht hast? Nach hier verirren sich selten Touristen. In Wyoming leben, ist eine schwere Prüfung, sagt unser Prediger.«
»Warum sagt er das?«
»Er sagt, wenn die Menschen nicht einsam sind, hier werden sie es. Deswegen brauchen sie Gott.«
»Da ist was wahres dran.«
»Er ist ein guter Prediger. Sehr weise und gütig.« Ein Schild vor uns. Rawlins Outdoor Shooting Complex. So kann man sich jedenfalls die Zeit vertreiben. Auf Sandhügel schießen. Ansonsten ist es hier wie auf dem Ozean. Rundherum gleichförmige Leere. Eine grüne Tafel kündigt eine Abzweigung in einer halben Meile an und in einer Senke auf der linken Seite sind Gebäude. Zweihundert Meter zuvor war davon noch nichts zu sehen. Seltsam, diese Senken. Es ist die Rawlins Elementary School. Die Abzweigung ist eine Umgehungsstraße um den Ort. Susan bleibt auf der Hauptstraße, sieht mich an und räuspert sich. »Hast du hier Verwandte?« Ich vergaß, ihr zu sagen, weswegen ich in Wyoming bin.
»Also, Verwandte habe ich tatsächlich, aber in Florida. Hier in Wyoming war ich auf Fototour. Bilder gemacht für einen Kalenderverlag. Ein Auftrag, oder zumindest ein Teil des Auftrags. Es geht um weite, endlose Landschaften.«
»Wow!«, sagt Susan. »Du hast Verwandte in Florida? In welcher Stadt?«
»In Tampa.« Das mit den Fotos ging wohl in ihr linkes Ohr hinein und durchs rechte hinaus. Oder es ist nicht wichtig.
»Das ist toll! Wirklich! Und besuchst du sie jetzt noch?«
»Ja, auf dem Weg in die Everglades, denn die sind auch ein Teil der weiten Landschaften.«
»Oh! Ich beneide dich. Du fliegst jetzt nach Florida?«
»Von Denver nach Orlando.« Susan seufzt. In ihrem Kopf kreisen die Bilder. Blaues Meer, blauer Himmel, weite Strände und auf jeden vierten Einwohner kommt ein Alligator.
»Richard und ich wollten bis nach Key West fahren, unsere Füße ins warme Wasser stellen und vielleicht ein zweites Mal heiraten.«
»Ein zweites Mal heiraten? Geht das?«
»Naja, man erneuert sein Versprechen vor einem Pastor, ist angezogen wie bei der ersten Hochzeit. Der Bund zwischen uns und Gott bekommt neuen Schwung.«
Ich sollte es nicht fragen, tue es aber doch. »Hat er denn an Schwung verloren?«
Susan zögert. Wir sind in einer langgezogenen Rechtskurve. Das Tal in dem Rawlins liegt, wird enger. Zumindest was die hiesigen Verhältnisse betrifft.
»Wir haben uns nie etwas zuschulden kommen lassen, mein Richard und ich. Und doch schickt uns Gott die Geißel Krebs. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht ist es eine Strafe … aber für was?«
Irgendwo in meinen Erinnerungen finden sich noch Reste von Bibeltexten aus dem Konfirmationsunterricht, dem Fernsehen oder Zeitschriften. Ich muss nur tief genug graben. Etwas, das ich Susan sagen kann. Ein ungewöhnlicher Anblick lenkt meinen Blick auf die Umgebung. Im enger werdenden Tal hat jemand Bäume gepflanzt. Besonders alt sind sie alle nicht, aber immerhin Bäume. Dass man diese friedlichen Riesen so vermissen kann …
»Es ist bestimmt eine Prüfung, Susan. Es gibt sie ja, die Prüfungen. Und niemand versteht, warum. Also sieh es als deine oder eure Prüfung. Eines Tages wird sich der Sinn erschließen.«
»Meinst du?«
»Ganz bestimmt. Was würde der Prediger aus Cheyenne sagen?«
»Genau das hat er schon zu mir gesagt.«
»Na also, dann solltest du nicht zweifeln.«
Sie wischt ein paar Tränen weg, blinzelt die Augen klar. Mir wird bange, aber wir bleiben auf Spur und es geht sogar abwärts, tiefer ins Tal. Noch mehr Bäume auf der linken Seite, ältere sogar. Die Straßen sind breit genug, um Napoleons Große Armee aufzunehmen. Dafür sehen die Wohnhäuser heimelig aus, gemütlicher als in Lander. Zeitgenössisches Fachwerk und Ziegelstein, eine große Kreuzung. Geradeaus geht es nach Laramie auf dem Highway 287. Unser Weg nach Cheyenne. Vorbei an einer recht europäisch aussehenden Kirche. Turm und Schiff in sandfarbenen Ziegeln. Genau dort hält Susan. Ein Mann löst sich vom Kirchenportal und kommt auf uns zu. Es ist ein Prediger. Noch zwei Stunden Fahrt liegen vor uns. Sommersprossen auf rötlicher Haut. Sein Aussehen erinnert mich an Menschen, denen ich in Irland begegnet bin. Er greift nach dem Türöffner, steigt ein.
»Gelobt sei Jesus Christus, unser Herr«, folgt die Begrüßung.
»Gelobt sei Jesus Christus, unser Herr«, antwortet Susan. Um sie nicht in eine Zwangslage zu bringen, und das wäre zweifellos die Folge, gebe ich denselben Satz wieder.
»Susan, lass uns fahren, dein Mann braucht dich jetzt«, höre ich von der Rückbank. Des Predigers Hand legt sich auf Susans Schulter und wir starten Richtung Laramie, biegen vor der Union Pacific Station links ab. »Ich habe mit dem Krankenhaus telefoniert«, fährt er fort und lässt den Rest vom Satz weg. Das kann nichts Gutes bedeuten und Susan kann es förmlich vor sich sehen, das Schreckliche. Ist das der Prediger, von dem sie erzählt hat? Und wenn ja, was tut er in diesem Kaff? Klar, vielleicht betreut er die Gemeinde in Rawlins, weil es hier keinen Priester gibt. Das kann nur dieser Prediger sein. Hand auf der Schulter, sie kennen sich gut.
»Sean, das ist Henry aus Deutschland«, stellt sie mich vor. »Das ist Sean, unser Prediger aus Cheyenne. Ich habe dir von ihm erzählt.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir«, sage ich und drehe den Kopf so weit es geht. Sein Gesicht ist ausdruckslos. Etwa wie grauer Karton, herausgezogen aus tausenden grauer Kartons. Lediglich die Augen stechen aus dem Kartongesicht hervor … er grinst künstlich. Ich mag ihn nicht. Mehr als das. Ich mag es nicht, dass er hinter mir sitzt.
»Aus Deutschland. Woher aus Deutschland?«
»Aus Köln.«
»Das ist eine katholische Hochburg, nicht wahr?«
»Das ist richtig.« Kommt gleich nach dem Vatikan, hätte ich fast gesagt, verkneife es mir aber. »Eine schöne und sehr alte Stadt«, hänge ich dran.
»Römisch-katholisch«, ist das Urteil des Predigers.
»Henry ist Protestant«, springt mir Susan bei und lächelt das Lenkrad an. Dafür könnte ich ihr einen Kuss auf die Wange drücken.
»Ah, Protestant. Dann ist das Leben in Köln sicher nicht einfach, oder?« Ob er sieht, wenn ich die Augen verdrehe? Diese Fahrt ist im wahrsten Sinne des Wortes eine schwere Prüfung. Es interessiert ihn jedoch nicht, was ich als Protestant aus dem katholischen Köln zu sagen habe, weil er einfach weiterredet, aber mit Susan. Er will von ihr wissen, ob sie heute noch ihren Mann besucht. Ich versuche abzuschalten, das Grasland zu genießen, was als Nichtbison unmöglich ist. Kurz nach Rawlins wird der Highway 287 auf die Interstate 80 geleitet. Wir machen einen Schlenker um eine Industrieanlage. Sinclair Oil Refinery steht auf einem Schild. Es gibt Öl in Wyoming, und Kohle. Und Uran. Aber wenn man mit Gras Geld machen könnte, bräuchten alle hier nichts mehr zu arbeiten. Immerhin hat der Verkehr zugenommen. Trucks vor uns, hinter uns und auf der Gegenfahrbahn. Wieder ein grünes Schild. Fort Steele, eine Meile. Ich würde ja fragen, ob wir uns das ansehen, aber die Zeit läuft. Meine und Susans. Vater fällt mir ein. Die wenigen Jahre mit ihm. So kurz nach seinem Tod habe ich das Gefühl, unsere Beziehung war so flach wie das Gelände hier, kaum noch Senken. Es ist wirklich zum Verrücktwerden. Nach ein paar Meilen endlich Abwechslung in Form einer Stahlbogenbrücke und eines recht breiten Flusses. Es ist der North Plate River, an dieser Stelle etwa 20 oder 25 Meter breit. Weiter entfernt umfließt er Inseln mit dichtem Baumbestand. Von hinten kommt lautes Schnarchen. Susan kichert. Sie zieht aus der Tasche in der Fahrertür ein Sandwich, eingewickelt in Cellophan, und reicht es mir.
»Würdest du mir das bitte auswickeln?«
»Gerne.«
Die Folie knülle ich zusammen und werfe sie auf die Ablage, neben das Yellowcake-Bild. Ich sehe es an, greife danach. Wie wunderschön das Gelb ist. Warum erinnert es mich an das Kanariengelb der kleinen Piepmätze, die solch einen höllischen Lärm machen können? Es gibt Farben, die bleiben im Kopf hängen. Vielleicht, wenn sich die Farbe zusammen mit einer besonderen Situation zeigt. Susan schiebt das halbe Sandwich in sich hinein. »Das gelbe Zeug hier ist wunderschön anzusehen«, sage ich mehr zu dem Bild, als zu Susan. Sie reagiert nicht. Wie auch, mit vollem Mund. »Der Krebs deines Mannes kommt mit gewisser Wahrscheinlichkeit vom Uranhexafluorid«, erzähle ich dem Kanarienvogel. »Strahlung, den Staub einatmen, und das über Jahre. Hat die Minen-Company sich an all den Arzt- und Krankenhauskosten beteiligt?«
»Er hat eine Abfindung bekommen. Aber nach der ersten OP war die aufgebraucht.« Die Antwort klingt wie ein schon lange geschriebenes Drehbuch. Ein sich ständig wiederholendes.
»Tja, Susan, jetzt haben sie einen neuen Fahrer. Und wenn der krank ist, steht schon der nächste da und braucht einen Job.« Sie schweigt und der Prediger sägt einen Baum nach dem nächsten. Ich weiß nicht, was ich noch sagen kann oder soll und denke an Vater. Drei Operationen, obwohl der Neurologe nach der zweiten klipp und klar sagte: Gehen Sie jetzt nach Hause und erleben noch ein paar nette Tage. Wir waren alle nicht bereit, das zu akzeptieren. Susan wird es vielleicht auch nicht sein.
»Wann sind wir in Cheyenne?«
»Eine Stunde noch.«
»Wirst du heute Abend noch deinen Mann besuchen?«
»Ja. Unbedingt. Eine Freundin wird für mich putzen. Dann bin ich ja schon im Krankenhaus und kann von Richard zur Wäscherei. Danach werde ich wieder zu ihm gehen.«
»Und morgen wieder im Shuttle sitzen.« Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass sie nickt. Stattdessen blicke ich auf das knallgelbe und so warm wirkende Puder. Da ist ein Gedanke, nein, ein Gefühl. Ich weiß nicht, was war zuerst da? Gefühl? Oder Gedanke? In diesem so leeren Land, neben dieser so sinnlosen Geschichte, habe ich das tiefe Gefühl, dass etwas gehörig schief läuft.
»Bist du verheiratet, Henry?«
Susans Frage bringt mich aus dem Konzept. »Nein.«
»Eine Freundin?«
»Auch nicht.«
»Das kann ich kaum glauben«, erwidert sie leise. Der Prediger hat den halben Wald schon abgeholzt.
»Du glaubst an einen unsichtbaren Gott, aber nicht, dass ich keine Freundin habe. Das ist schon sehr seltsam.«
»Und du, Henry, kommst mir vor, wie ein Irrlicht.« Ein Irrlicht. Was tut ein Irrlicht? Es irrt ziellos durch die Gegend?
»Gut möglich, Susan.«
»Und du bist auch nicht jemand, der an Gott glaubt, oder?« Die Frage flüstert sie. Der Mann Gottes auf der Rückbank soll es auf keinen Fall hören. Ich sehe sie an.
»Nein, bin ich nicht.«


Von den Ortsbezeichnungen auf den grünen Hinweistafeln finden sich nicht wenige in Hollywood-Filmen wieder. Nächste Ausfahrt Medicine Bow. Mir fällt der Marlboro-Mann ein und Filme wie Vierzig Wagen westwärts. Oder dieser Ort hier: Saratoga. Ich meine, so hieß ein Flugzeugträger im Zweiten Weltkrieg. Über einer Brücke queren wir eine zweite Straße. Zu beiden Seiten kann ich sicher 40 oder 50 Kilometer weit ins Land blicken. Ohne einen Bezugspunkt, ist die Entfernung schwer zu kalkulieren. Die Welt nach einem Atomkrieg stelle ich mir ungefähr so vor. Drei Menschen, sich zufällig getroffen, unterwegs in einem klapprigen Auto. Einer davon weckt die Toten mit seinem Schnarchen. Vor uns kommt in 23 Meilen ein Elk Mountain und bis Cheyenne sind es nur noch 126 Meilen. Es besteht noch Hoffnung. Zehn Minuten weiter sind rechts die Überreste einer Ranch zu sehen. Über dem Stalltor eine vergilbte US-Flagge, die Gebäude mehr oder weniger baufällig und kurz nach der Meilentafel 240 wird es welliger. Fast bin ich geneigt, von Hügeln zu sprechen. Der Regen hat erodierte Rinnen in sie gefräst. Das Ganze hält sich nur eine Meile. Im Südosten jedoch zeigen sich dunkelblaue Hügelketten größeren Ausmaßes. Das beruhigt mein Auge.
»Henry, darf ich dich etwas fragen?«
»Natürlich.«
»Du sagtest, dein Vater hätte auch diesen Krebs gehabt. Er ist also tot. Wann ist er gestorben?«
»Vor sechs Monaten. Ende Januar.«
»Oh! Also ist es noch ganz frisch. Das tut mir sehr leid.«
»Danke, Susan.« Sie hat den Burger King-Blendschutz vom Kopf genommen, was ich gar nicht bemerkt habe. Ihr Blick sagt, dass noch mehr Fragen warten. Sie schaut wie ein treuer Hund, den man beim Plündern des Kühlschranks ertappt hat. »Nur zu, frag ruhig.« Etwas fehlt jedoch. Ich komme aber nicht drauf, was es sein könnte.
»Hast du ihn geliebt?«
Ich muss die Luft aus den Lungen pressen. Auf der Ablage wirbelt nicht wenig Staub auf. Warum diese Frage? Was war er von Beruf, sein Alter, hatte er Hobbys … was bringt ihr die Antwort? »Mal so, mal so, Susan. Da gibt es keine klare Antwort.« Das wird sie nicht zufriedenstellen. Sie kaut auf der Unterlippe. Und ich weiß, was fehlt. Das Schnarchen. Der Prediger wird lauschen. Ich werde mich nicht umdrehen, nicht die stechenden Augen im Kartongesicht sehen.
»Was hat Sie daran gehindert, ihn zu lieben?« Die Stimme aus dem Off. Jetzt heißt es, Lippen zusammenpressen und seufzen.
»Sein Verhalten.«
»Erklären Sie mir das, bitte, Sir.«
»Sein Verhalten kann ich Ihnen nicht erklären. Dazu fragen kann ich ihn nicht mehr. Er war eben nicht so, wie man als verantwortungsvoller Erwachsener mit Familie sein soll.«
»Dann muss man verzeihen, denjenigen unterstützen. Liebe fragt nicht nach persönlichen Fehlern. Man liebt. So wie man Gott liebt und er uns, auch wenn wir unvollkommene Wesen sind.«
»Da sind wir dann wohl unterschiedlicher Meinung.«
»Es kann in diesem Fall nur eine Meinung geben, und es ist noch nicht einmal eine Meinung. Es ist das, wozu wir von Bibel und Gott aufgerufen sind.«
»Unterwerfung also?« Susan ist noch ein Stück näher ans Lenkrad gerutscht. Sie fixiert die Straße.
»Sich fügen. Der Mensch fügt sich in das Konstrukt Gottes. Die Familie sich in das Konstrukt des Vaters. Bei aller Unvollkommenheit, ist er derjenige, welcher vom Herrn zum Herrschen auserkoren wurde.«
»Ich denke, Herr Prediger, dass wir zu keiner Einigung kommen. Lassen Sie uns die Landschaft genießen.« Er schnaubt. Ich drehe mich kurz um und grinse ihn an. »Im Übrigen bin ich schon seit vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten, gehe in keine, besuche keinen Gottesdienst und glaube an nichts, als die reine Vernunft.« Wären Augen Messer, müsste ich jetzt um mein Leben bangen.
»Vernunft ist ein menschliches Fantasiegebilde«, stellt er fest. In der Prärie tauchen jetzt hunderte Meter lange Holzzäune auf, die Schneeverwehungen aufhalten sollen.
»Vernunftgebilde«, sage ich und deute auf die Zäune. Er schweigt, was mir sehr lieb ist. Ob Susan überhaupt einmal geblinzelt hat? Jetzt habe ich Durst. Es war ein Fehler, kein Wasser zu kaufen.


Bin ich auf dem Mond? Inzwischen fahren wir in einer großen Pfanne. Es ist topfeben. Treffende Wörter finde ich faszinierend. Wer hier lebt, könnte den Eindruck bekommen, die Erde sei flach. Ich hätte nicht zu geringe Lust, den Prediger nach der Gestalt des Planeten zu fragen, aber für Susan wäre es sicher eine Qual. Dort, tief in ihr drin, meine ich, eine andere Susan zu ahnen; aber ich kann mich täuschen. Die Sonne jedenfalls wird bald hinter dem Rand der Pfanne verschwinden. Es ist furchterregend flach. Präriesträucher, nicht höher als 40 oder 50 Zentimeter, verteilt auf der Ebene, zwischen ihnen genug Platz für ein Auto. Sandgelber Boden und nur noch wenig Gras. Ab und zu tauchen große, flache Wasserflächen auf, an den Rändern rötlicher Schlamm und dann ein Schild, das Fort Laramie ankündigt. Die siebte Kavallerie wird nicht mehr ausrücken, um Siedler zu beschützen oder zu rächen.
»Ist noch was von Fort Laramie zu erkennen?«
»Aber ja, Henry. Die Fläche ist mit einer Markierung umrandet, auch die Gebäude darin wurden abgesteckt und es gibt eine große Tafel mit vielen Informationen.«
»Wir haben ja leider keine Zeit.«
»Ja, das ist schade. Mich freut, wenn du dich für unsere Geschichte interessierst.«
»Das tue ich in der Tat, für Geschichte interessieren. Aber nicht nur für die der USA. Für den Rest ebenso.«
»Die Geschichte beginnt vor etwas weniger als 6.000 Jahren«, behauptet die Stimme im Hintergrund. »Sind Sie ein Evolutionist?«
»Ich bin Henry aus Köln in Deutschland und muss heute Abend am Stapleton International in Denver sein. Das ist es, was ich momentan bin. Wie bei uns, gibt es auch hier Glaubensfreiheit. Sie dürfen also glauben, was Sie möchten.«
Jetzt sind wir an Fort Laramie vorbei und ich wollte zumindest einen obligatorischen Blick auf die Heimat der siebten Kavallerie werfen. Der Trompeter hinter mir bläst jedenfalls zum Angriff.
»Es ist nicht gut, Susan, dass du diese Shuttle-Dienste fährst. Ich habe es von Anfang an befürchtet. Du kommst mit Menschen in Kontakt, die dir nicht gut tun. Häretiker, vom Glauben abgefallene, vielleicht sogar von Dämonen bewohnte Wesen, die mal Mensch waren.«
Susan schweigt. Viel näher kann sie nicht ans Lenkrad rutschen. Wenn ein Reifen platzt in dieser Haltung und 70 Meilen pro Stunde, sind wir Geschichte. Gottes Personal ist schlecht ausgesucht. Immerhin tauchen wieder Bauminseln auf und kurz darauf fahren wir durch die Stadt Laramie, folgen der Interstate 80 und Hügelland wird im Osten sichtbar. Es gibt sogar einen Flughafen und vom Beifahrersitz des Shuttle lässt sich sagen, dass Laramie eine angenehm baumreiche Ortschaft ist. Ein Fort Collins nähert sich. Susan zieht zweimal die Nase hoch. Ich sehe ein paar Tränen über ihre rechte Wange rollen.
»Sollen wir eine kleine Pause machen?«
Sie schüttelt zaghaft den Kopf. »Lieber nicht. Ich habe ein ungutes Gefühl und möchte so schnell als möglich in Cheyenne sein.«
»Du darfst in deinem Glauben an das Wunder der Heilung nicht nachlassen, Susan. Lass dich nicht verwirren. Viel hängt von dir ab.«
Vielleicht sollten wir doch anhalten. Ich setze den Prediger aus und fahre alleine mit Susan weiter. Er kann in der Ebene verdorren. Mein Blick hängt einige Zeit auf dem Foto. Das Yellowcake. Die Halbwertszeit von Uranhexafluorid ist mir nicht bekannt, aber ich bin sicher, sie überspannt den Zeitraum von knapp 6.000 Jahren um ein Vielfaches. Aber was sollte der Prediger mit einem Foto anfangen? Mein Glaube ist meine Burg und der Wassergraben ist breit und tief. Rechts taucht ein flaches, großes Gebäude auf mit einem braunen Holzkreuz im Vorgarten. Irgendeine Baptistengemeinde. So viel kann ich erkennen. Ich schließe die Augen. Der Wagen läuft wirklich gut.


Es wird kurvig. Zumindest im Verhältnis zu den letzten Stunden. Die Interstate hat sich durch einen Hügel gegraben. Rötlich-gelber Fels, brüchig und kleinteilig. Von Hitze und Frost aufgebrochen. Bewaldete, flache Hügel vor uns. Ich traue meinen Augen nicht. Die Einschnitte werden tiefer. Hier wurde eine Menge Dynamit benutzt. Links und rechts lichte Nadelwälder.
»Endlich ein bisschen Grün«, sagt Susan. »Der Nationalpark Medicine Bow
»Medicine Bow? Das hatten wir doch schon mal vor drei Stunden.«
«Ja, die Ortschaft. Aber das ist der Nationalpark.«
»Gefällt mir.« Susan lächelt. Immerhin etwas. Und der Prediger schweigt. Besser wird es nicht bis Cheyenne. Das Intermezzo währt jedoch nur kurz. Der Verkehr nimmt zu. Unmengen Trucks, mehr Auf- und Abfahrten. Es macht den Eindruck, als würden wir uns der Zivilisation nähern. Links taucht eine Büste auf. Sicher drei oder vier Meter hoch. Das Gesicht ist unverkennbar.
»He! Das ist ja Abraham Lincoln«, stelle ich fest.
»Ja, das ist der Lincoln-Head.«
»Warum steht er hier in der Gegend rum?«
»Ich weiß auch nicht.«
Immerhin weiß der Prediger offenbar auch nichts oder schweigt beleidigt. Mir soll es recht sein. Die Nadelbäume sehen hier oben aus wie nach Süden gekämmt. Es muss einen dauerhaften und starken Wind geben. Und ein Schild kommt, auf dem steht, dass wir bald in Cheyenne sind. Die großen Werbetafeln werden mehr. Ein Casino, ein Walmart, die Ankündigung des Herbstrodeos mit Kulturabend der Ureinwohner, ein Pow Wow. Federn, Totem, alles wird zu besichtigen sein. Ich werde an diesem Tag schon längst wieder in Köln sitzen.
»Ich muss mal austreten, Susan«, lässt Sean, der Prediger uns wissen.
»Es kommt gleich ein Parkplatz. Etwa fünf Meilen. Geht es bis dahin?« Wahrscheinlich nickt er zum Rückspiegel, denn Susan blickt hinein. Wir sind auf einer Art Hochebene, denn links sind die Gipfel einer nahen Hügelkette zu sehen und davor die Abbruchkante eines Tals. Etwas Rotes taucht an meiner linken Seite auf. Ein kleines Buch mit Kunstledereinband. Auf dem Deckel ein goldenes Kreuz.
»Das ist für Sie. Ein Geschenk. Nehmen Sie ruhig, es wird nicht beißen.«
»Danke, aber ich habe die Bibel schon mal gelesen. Von vorne bis hinten. Ein netter Fantasyroman, aber er hat Längen.« Die dankende Ablehnung nutzt nichts. Weiterhin sehe ich das rote Ding. Die Blattränder sind ebenfalls mit einem Goldlack überzogen. Dünnes Papier, vielleicht 50 Gramm. Susan wirft mir einen Seitenblick zu. Ich meine, sie nickt unmerklich mit dem Kopf. Es ist ihr wohl wichtig, das Geschenk anzunehmen; für den Frieden während der Fahrt oder vielleicht meinetwegen. »Okay, besten Dank«, sage ich, greife danach und lege sie auf meinen Schoß.
»Wird es an der Stelle warm?« Wieder die Stimme aus dem Off. Ich verstehe seine Frage nicht.
»Warm? Warum sollte es warm werden?«
»Hat ein Dämon von Ihnen Besitz ergriffen, wird die Stelle warm, auf der das Wort Gottes liegt.«
»Es gibt ja die Klimaanlage. Alles in Ordnung.« Susans Finger krallen sich ums Lenkrad. Sie leidet. Ihr Mann, die vielen Jobs, die Furcht, eine unbekannte Zahl an Wegen des Herrn und dann noch einen penetranten Prediger auf der Rückbank, das ist nicht einfach. Und der Kerl lässt nicht locker. Hat er für die letzte Dreiviertelstunde die endgültige Attacke geplant?
»Reden Sie im Schlaf?«
Jetzt muss ich seufzen. So leise wie möglich. »Ich weiß nicht. Bisher hat sich noch niemand beschwert.«
»Im Schlaf zu reden, kann ein Zeichen von Besessenheit sein. Träumen Sie schreckliche Dinge?«
»Meist von Predigern.«
»Sie verhöhnen mich, machen meine Worte lächerlich. Vergessen Sie nicht, dass Sie Gast sind in diesem gottgegebenen Land.« Ob Kopfschütteln hilft? Susan setzt den Blinker und zweigt ab, parkt neben einer Bank. Ich steige zügig aus. Hinter uns sind zwei Trucks. Eine Menge abgerichtete Holzbalken hat der eine geladen, der andere einen Radlader. Beide lassen die Motoren laufen. Vermutlich der Klimaanlage wegen. Von den Fahrern ist nichts zu sehen. Sean steht in der Prärie und erleichtert sich. Es ist schwül, um die 30 Grad. Eher mehr. Die Luft ist nicht frisch, nicht erholsam. Schnell setze ich mich zurück in den Wagen.
»Tut mir leid«, begrüßt mich Susan. »Ich hätte dich warnen sollen. Er ist ein toller Prediger und zu uns allen immer gut. Ich weiß nicht, warum er auf dich so reagiert.«
»Schon gut. Mach dir keine Gedanken. Du kannst ja nichts dafür. Die paar Meilen werden wir noch schaffen und dann kannst du Richard besuchen.«
»Ja …« Ihre Stimme versagt, endet in einem Krächzen. Susan weint still, nur wenige Tränen. Wir könnten jetzt losfahren und der Prediger soll trampen. Ein guter Christ wird ihn sicherlich mitnehmen. Die hintere Tür öffnet sich. Zu spät. Im Fußraum liegt die rote Bibel. Ich hebe sie auf und Susan fährt weiter.


Endlich Cheyenne. Entlang der Gleisanlagen von Union Pacific Richtung Stadtzentrum. Ein Güterzug wartet auf Weiterfahrt. Die Waggons zählen ist eine gute Abwechslung zur eisigen Stimmung im Auto. Bis zum Stadtzentrum sind es siebzig Schüttgutwaggons und ein Ende ist nicht abzusehen. Gerade kommt von der anderen Richtung ein zweiter Zug. Vier der großen Lokomotiven ziehen ihn langsam in die Anlage. Schwarze Abgaswolken verdunkeln das Gleisfeld. Am Depot biegen wir links ab. Vor uns ein großer Platz, quadratisch, wie es aussieht. Bäume, Spielgeräte, Bänke, Trinkwasserbrunnen, schattige Lauben aus Schmiedeeisen, Rosen ranken daran hoch. Die Menschen haben sich Mühe gegeben, ein bisschen Behaglichkeit in ihrem Zentrum zu haben. Wir parken in einer Taxi- und Shuttlebucht. Susan schaltet den Motor ab. Bezahlt habe ich die Fahrt im Voraus, aber ich lege zwanzig Dollar in das kleine Fach über dem Aschenbecher. Sie nickt unmerklich und formt die Lippen zu einem sanften Kuss. Das Foto auf der Ablage.
»Susan, darf ich das Foto mitnehmen als Erinnerung?« Ihr Blick ist verwundert, die Augenbrauen hochgezogen. Ein Foto mit einer Weißblechdose, die gestrichen voll ist mit einem intensiv gelben Puder. Was sollte jemand damit? Sie nickt nach einem Moment.
»Gerne. So weiß ich, dass es dich interessiert.« Aus dem Brustbeutel unter dem T-Shirt ziehe ich einen Kugelschreiber und notiere meine Adresse in Köln.
»Vielleicht schreibst du mir, wie es dir und deinem Mann geht. Eine kleine Postkarte aus Cheyenne, Wyoming. Ich würde mich freuen. Und ich schreibe zurück, wenn du deine Adresse darauf vermerkst.«
»Wirklich?«
Der Prediger steigt aus. Er wird mein Gequatsche nicht mehr länger ertragen können.
»Ja, wirklich. So wahr ich hier sitze.«
Sean geht direkt auf eine Telefonzelle zu, hinein und hebt den Hörer von der Gabel, wirft Münzen ein. Susan nimmt mir den Kuli ab und schreibt ihre Postanschrift auf die Rückseite einer Walmart-Werbung. »Ich kann sie dir sofort geben. Wer weiß, ob Postkarten ankommen.«
»Danke, Susan. Ich schreibe einen Brief. Und danke für die Fahrt. Es war mir eine Freude.«
»Mir auch, Henry, mir auch.«
Sean hängt den Hörer auf und kommt zurück. Er wird einen Bekannten gefragt haben, ob der ihn abholt. Susan hat kein Auge für ihn. Sie lächelt und liest noch einmal die Kölner Adresse. So weit weg. Eine andere Welt mit anderen Realitäten und anderen Wahrheiten. Ich steige aus und strecke mich, zweimal eine Rumpfbeuge auf dem mit roten Quadern gepflasterten Platz, dann wieder dehnen. Mein Blick fällt auf ein zweigeschossiges Firmengebäude. Wrangler steht an der Giebelwand. Schau an, hier werden die Jeans gemacht, denke ich und sehe im Augenwinkel Sean am Fahrerfenster lehnen. Er redet mit Susan. Die alte Uhr auf dem Turm des Union Pacific-Depots zeigt, dass der Greyhound jetzt kommen müsste, was er in diesem Augenblick tut. Pünktlich wie die Uhrmacher. Der grüne Windhund läuft auf dem Stahlblech über den Highway. Gardinen an den winkligen Scheiben. El Paso steht auf dem Laufschild und nächster Halt ist Denver. Mein Ziel. Wir werden maximal zwei Stunden fahren, wenn es keine größeren Zwischenstopps gibt. Langsam fährt das große Fahrzeug um den Platz herum und kommt gegenüber der Taxibucht zum Stehen. Es zischt, die vordere Tür öffnet sich und drei Passagiere steigen aus. Ich hole Rucksack und Kameratasche, klopfe aufs Autodach. Der Prediger ignoriert mich. Susan versucht unter seinem Kinn einen Blick zu erhaschen. Ich winke und gehe zum Bus. Abfahrt ist in fünf Minuten. Das Ticket habe ich im Brustbeutel, den ich wieder unterm T-Shirt hervorziehe. Ein Schrei folgt. Langgezogen bis alle Luft aus den Lungen ist. Nur ein Wimmern bleibt. Es war Susan. Der Prediger zieht sie aus dem Auto. Sie sinkt auf die Knie. Mein Inneres krampft sich zusammen. Der Prediger, das Telefonat … es ist passiert. Nur das kann es sein. Es zieht mich zu Susan. Ich will sie festhalten. Jetzt kennt sie meine Realität und ich die ihre.
»Sir, wollen Sie mitfahren?«
»Wie?«
»Nach Denver, Sir?« Der Prediger ist um sie herum, über ihr, überall, hält die kniende, weinende Susan und versucht zu beten. Seine Worte kann ich bis hier hören. Oh, Lord … es hupt. Keine leise Hupe. »Sir, nach Denver bitte einsteigen!« Ich steige ein. Klimatisiert. Es fährt ein Servicemanager mit, der mein Ticket nimmt. Der Fahrer blickt interessiert auf Susan und den Prediger.
»Frauen sollten kein Shuttle fahren«, sagt er und schließt die Tür. Ich setze mich nach hinten. Sehr große Sitze mit viel Raum für die Beine. Ich bekomme eine Coke zur Begrüßung aus dem bordeigenen Kühlschrank. Vor den dunkelgrünen Scheiben sehe ich Susan. Sie lehnt am Shuttle. Der Prediger hat die Hände gefaltet. Ich ziehe das zusammengefaltete Foto aus der Gesäßtasche. Yellowcake. Ein so friedliches Kanariengelb.

Entstanden im Jahr 2024 als ein Text aus der Farbenreihe, die sich um Abschiede dreht. Ich kann Euch auch sagen, dass wir hier im Jahr 1991 sind. So viel steht fest und ich schätze, eine Fahrt durch Wyoming ist heute nicht anders als damals. Eine schwere Prüfung. Man muss es aushalten können. Interessant finde ich, dass im Jahr 2024 nicht wirklich mehr Menschen dort leben. Die Einwohnerzahl ist recht stabil bei etwas mehr als 500.000 Menschen; auf dieser Fläche. Wyoming ist leer. Platz für Bisons. Lasst mir gerne einen Kommentar da. Schreibt mir, ob Ihr Wyoming kennt. Viel Spaß beim Lesen!

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Beste Grüße
Heiko

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