Kein Entkommen

KURZGESCHICHTE | Ich keuche. Schwitze. Ein verzweifelter Blick auf den Boden, meine Schuhe. Ein Schritt vor den anderen. So schnell es eben geht. Endlich erreiche ich die Sektionsschleuse, schiebe sie zu und drücke auf den Knopf der manuellen Verriegelung. Es zischt und meine Lunge rasselt ihr abgehetztes Lied. Verriegelt, sagt die Kontrolllampe. Ich lehne mich an die kühle Außenwand und rutsche langsam zu Boden. In den Ohren kann ich jeden einzelnen Herzschlag spüren. Es pumpt mit aller Kraft. Aus der Tasche hole ich das Hypospray, sprühe vom Zeug an die Rachenwand. Langsam werde ich ruhiger und versuche mich auf andere Geräusche zu konzentrieren. Aber da ist nichts, außer meiner Panik. Es MUSS aber zu hören sein, will mir und meinem jämmerlichen Leben ein Ende setzen.

Ich blicke aus dem gegenüberliegenden Fenster in die Schwärze des Alls, entlang der Stationsringe. Warum sehe ich nichts? Über mir liegen die anderen Speichen zur zentralen Achse. Hinter deren Scheiben ist alles dunkel. Vermutlich zerstört durch Beschuss oder sonstige Gewalteinwirkung. Ein Kratzen von irgendwo. Ich erstarre und halte die Luft an. Das Licht flackert, dann fällt es aus. Die Notbeleuchtung reicht nur für ein ungefähres Erkennen der Umgebung.
Da ist es wieder. Ein Kratzen oder Schaben direkt hinter der Schleuse. Es bricht aus mir heraus. Tränen, Zittern. die Panik. Keine Chance, diesem Ding zu entkommen. Mein Leben, meine Erinnerungen, alles stürzt in ein tiefes, dunkles Loch, aus dem es kein Entkommen gibt. Keine Hoffnung. Ich darf nichts mehr hoffen. Lähmung setzt ein. Angststarre. Ohne Ketten an den Boden gekettet. Es zischt. Bald ist es soweit.

Ich rapple mich auf. Nur weiter! Vielleicht schaffe ich es bis zu den Hangars. Ungefähr fünf Minuten habe ich Zeit, bis die Schleuse sich unter der Säure auflöst. Also weiter zur nächsten Sektion. Hier treffe ich auf die Hauptschleuse. Der Ring ist unterteilt in vier Sektionen, die durch große Schleusen versiegelt werden können. Ich betätige den Sensorknopf und sie schließt sich wie eine Fotoblende. Die Lampe leuchtet in dunklem Rot. Jetzt kann ich die Versiegelung der vorhergehenden Sektion aktivieren. Das Programm versagt. Fehlfunktion. Ein Abpumpen der Atemluft ist nicht möglich. Ich drehe mich zu den Fenstern und starre hinaus. Nichts zu sehen hinter den Scheiben der letzten Sektion. Überleg! Überleg endlich in Ruhe! Was kann ich tun, um es auszutricksen, zu umgehen. Schach. Mir fällt Schach ein. Ich bin aber auf der Flucht. Keine Figuren mehr. Ein Patt gab es nicht.

Die Station besteht aus fünf Ringen, zylindrisch übereinander angeordnet. In der Mitte, wie eine Achse, das Basismodul. Von jedem Ring zur Achse jeweils vier Speichen. Meine Position ist momentan der unterste Ring. Die Hangars liegen an beiden Enden der Achse. Der untere ist mein Ziel. Also weiter! Noch knapp hundert Meter zur nächsten Speiche. Es ist still. Die Stille ist förmlich zu hören, sie bekommt Masse. Seit Wochen ist es still. Aber noch nie wie in diesem Moment. Und da ist es wieder. Hinter der Schleuse. Wie eine stumpfe Säge fährt das schwach kratzende Geräusch in meine Nerven. Meine Haare stellen sich. Ich beginne zu rennen. Hundert Meter! Früher ein Klacks für mich. Jetzt wie ein nie enden wollendes Laufband. Ich renne und schicke Befehle an meine Beine. Nicht versagen! Weiter! Los, kommt schon! Schwer atmend erreiche ich die Speiche, schließe das Schott hinter mir. Fehlton. Keine Versiegelung möglich.
Hilflos ausgeliefert. Diesem Biest. Oder was immer es ist. Wusste es, was ich vorhabe? Kann dieses verdammte Ding ahnen, was in den letzten Überresten meines Verstandes als Plan abgelegt ist? Vielleicht. So was wie eine telepathische Entität? Mir schnürt sich die Kehle zu. Ich bin sicher, dass es mindestens so schlau ist wie ich. Und es kennt die Station. Was bleibt noch? Selbst wenn ich rechtzeitig den Hangar erreichen würde, ist immer noch unklar, ob noch ein Beiboot existiert. Und wenn ja, ob es funktionsfähig ist. Um das herauszufinden, ist Zeit nötig. Und Zeit habe ich nicht. Das Biest kann ganz ruhig in Richtung unser beider Ziel marschieren. Ein Fenster kommt. Ich halte an und schaue zum Ring zurück. Da! Da meine ich was gesehen zu haben. Ein Schatten. Hinter der ersten Scheibe! Weiter!
Eine Idee holt mich ein. Wenn ich nun nicht den Weg nähme, den jedes Opfer in Panik nimmt? Dann könnte ich kostbare Zeit gewinnen. Am anderen Ende der Achse ist ebenfalls ein Hangar. Das Ding wird bei dieser Geschwindigkeit zehn Minuten mehr benötigen. Es muss annehmen, dass mein Ziel der untere Hangar ist, weil am nächsten zum jetzigen Standort. Bin ich aber in dieser Zeitspanne schon auf dem Weg zum oberen Hangar, habe ich Strecke und Zeit gut gemacht. Sagen wir zehn Minuten plus zwei Überraschungsminuten. Mit Sicherheit. Einzig der Weg nach oben bereitet mir Kopfschmerzen. Der Zentrallift als Transportmittel fiel weg. Ist ausgefallen. Bleiben nur die Aufstiegsschächte, von denen vier Stück kreisförmig um den Lift gebaut sind. Jeder groß genug für drei Menschen, 200 Meter hoch, alle fünf Meter ein Podest. Hilft ja nichts. Ich entschließe mich zum Aufstieg.

Endlich in der Achse, vor mir der Hangar, die Lifte und zwei Zugänge zu den Schächten. Ich stelle mir das Ding als Tier vor. Es wird seine Nase einsetzen, wenn es denn eine hatte. Ich ziehe das verschwitzte Shirt aus und reibe den Durchgang zur Hangarsektion ein. Dann versuche ich vorsichtig, die Tür zu einem der Aufstiegsschächte zu öffnen. Hier drin ist nur Notbeleuchtung. Das gibt mir seltsamerweise ein wenig Sicherheit zurück. Ich schüttle die Arme aus, verriegle die Tür von innen und starte den Aufstieg. Sprosse um Sprosse. Ich zähle bis fünfzehn. Dann stoppe ich und lausche. Meine Lunge pfeift zu laut, als dass ich zusätzlich etwas hören kann. Dann ist da das Rauschen des Bluts in meinen Ohren. Ich blicke nach oben. Die Röhre endet im Nichts. Zweihundert Meter.

Weiter.

Bis fünfzehn zählen. Stopp.

Weiter.

Bis fünfzehn zählen. Stopp.

Ich achte nicht mehr auf die Höhe, und kurz meine ich, die Angst zu vergessen. Ein Trugschluss. Wo bin ich? Da, die 80 Meter-Markierung! Ab auf das Podest. Automatisch greife ich nach dem Hypospray, sprühe davon in den Rachen. Das beruhigt die Pumpe. Ich lausche, drehe den Kopf auf die Seite. Der Schacht ist wie ein Verstärker. Aber da ist nichts. Vielleicht geht mein Plan auf. Also weiter. Bis fünfzehn zählen. Sprosse um Sprosse. Stoppen. Bis fünfzehn zählen …

Ich bin kurz davor, ohnmächtig zu werden. So kommt es mir jedenfalls vor. Mit zunehmender Entkräftung wird mir alles egal. Richtig egal. Der Gedanke, das Vieh ausgetrickst zu haben, brennt noch und treibt mich vorwärts. Ich kann das Ende der Achse sehen. Höhe 160 steht neben der Leiter. Einfach loslassen. Fallen und für immer schlafen. Ein Verlockender Gedanke. Ich setze mich aufs Podest und pumpe eine große Ladung Hypospray in den Rachen. Wie oft man das Zeug wohl nehmen kann, ohne einen direkten Schaden zu erleiden? Egal! Hier sterben oder woanders. Was macht das schon aus? Doch die Angst kommt zurück. Die Angst vor dem Unbekannten. Was immer es ist. Es treibt mich in die Panik. Los! Weiter!

Von unten rollt ein furchterregendes Knacken heran. Ich kann förmlich spüren, wie sich es sich nach oben fortsetzt, mich erreicht, den Todeshauch im Gepäck. Ich rieche die Gefahr. Das Knacken klingt ab, als ein Summen ertönt. Ich stutze! Der Lift? Der Lift geht wieder? Wie um alles in der Welt ist das möglich? Ich spüre das Zittern im Material stärker werden. Der Lift fährt nach oben! Und jetzt? Oh Himmel, gottverdammter Mist! Wie nur ist es diesem Ding gelungen, den Lift in Betrieb zu setzen?!

Ich schaute hoch. Ein Podest höher ist der Ausgang zur vorletzten Radspeiche. Was soll ich tun? Raus hier! Auf jeden Fall! Das Ding weiß, was ich vorhabe. Ich halte den Atem an. Der Lift saust hinter der gegenüberliegenden Wand an mir vorbei, erreicht das obere Ende. Es gibt nur noch eine Möglichkeit! Ich klettere weiter. Mühelos erreiche ich das nächste Podest. Mehr Adrenalin in den Adern geht nicht. Behutsam öffne ich die Tür. Nichts zu sehen. Nichts zu hören. Das Biest ist am Endpunkt des Lifts ausgestiegen und vermutet mich im dortigen Hangar. Das verschafft mir Zeit. Ich klettere aus dem Schacht und laufe durch die Speiche in die Ringsektion. Genau gegenüber ist eine Andockschleuse, deren Blende ich öffne, den Schleusenraum betrete. Mein Entschluss steht fest. Gegenüber an der Wand ist die Schalteinheit. Ich deaktiviere sie und stelle manuellen Betrieb her. Dann löse ich die Hauptverriegelungen. Nun ist es nur noch ein Griff, und die entweichende Atmosphäre wird mich, und alles was nicht niet- und nagelfest ist, in den Raum hinausschleudern. Vielleicht auch dieses Ding. Ich gehe den Vorgang in Gedanken immer wieder durch. Dann stelle ich mich draußen auf den Ring und beginne zu rufen. Mit einem herumliegenden Metallteil dresche ich auf die Wand ein. Es schepperte metallisch. Dabei schreie ich mir die Kehle aus dem Leib, belege das unbekannte Wesen mit allen Schimpfwörtern, die mir einfallen. Zwischendurch beende ich alles und lausche.

Nach einer halben Ewigkeit fällt das Licht aus. Aktivierung der Notbeleuchtung. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Da ist es. Die Gefahr wird körperlich, ohne dass ich es sehe. Hastig ziehe ich mich in den Schleusenraum zurück und spähe um die Kante in den Gang hinein. Mal nach links, dann wieder nach rechts. Die Angst ist pure Gewalt. Ich wusste nicht, dass man so was fühlen kann. Es zischt. Dann sehe ich es kommen. Von links. Eine schemenhafte Erscheinung. Langsame Bewegungen, dafür sehr viele. Was ist das?! Tastende, zittrige Glieder, darunter kriechende, langsame Schatten. Ein Säuseln und Zischen wie bei einer Schlange. Ich will es endlich sehen! Stattdessen renne ich zur Schleuse, greife nach dem Hebel der manuellen Öffnung. Das war es nun! Das Ende meiner kläglichen Existenz! Hier im Nichts! Kann ich die Schleuse nicht jetzt schon öffnen? Wird das Ding mit hinausgezogen? Oder kann es im Vakuum überleben? Ich will wissen, ob mein Tod umsonst sein wird. Es kratzt direkt vor mir und dann sehe ich, was es ist. Mit acht Augen fixiert es mich. Wie kann das Universum eine solche Kreatur erschaffen? Welchen Sinn macht das? Nicht in dieser Größe und Hässlichkeit.

Ich lege den Griff um. Stirb!, ist mein Gedanke. Nichts passiert. Ich erstarre. Dieses Ding, diese Spinne, kriecht tastend in den Schleusenraum. Gott! WENN ES DICH GIBT, DANN TÖTE MICH JETZT! Mir wird schwarz vor Augen.

*

Die zwei Wärter stehen an der Tür und blicken durch die Plexiglasscheibe in den Raum hinein. Drinnen ist nicht viel zu sehen. Wattierte Wände, ein Mattenboden, kein Fenster, keine Möbel. Nichts. Nur ein Mann, der plötzlich umgefallen ist.
»Siehst du?« sagt der linke. »Er ist umgekippt. Wie ich es gesagt habe. Und das innerhalb von 30 Minuten. Du schuldest mir 20 Mäuse.«
Der Kleinere schaut ungläubig durchs Fenster. »Ich verstehe das nicht. Woher weißt Du, wann das passiert?«
»Ist immer dasselbe Schema. Er fängt an, im Kreis zu laufen. Läuft er links rum, dann sind es 30 Minuten. Läuft er rechts rum, sind es 60 Minuten. Beide Male fängt er nach fünf Minuten an zu rennen. Bei 30 Minuten klettert er irgendwo hoch. Bei 60 Minuten schwimmt er durch irgendwas durch.« Er hält dem kleineren Wärter die Hand vor das Gesicht. »20 Mäuse!«
Zähneknirschend gibt der Verlierer dem Großen das Geld. »Okay, danke. Hab ich dir schon den gezeigt, der sich immer den Finger in den Hintern steckt?«
Der kleine Wärter schüttelt den Kopf.
»Gut. Schalt die Nachtbeleuchtung ein und komm mit« Der Große wendet sich ab und der Kleine knipst das Licht aus.

Diese Geschichte

Geschrieben im Jahr 2011. Ist ja kein Geheimnis, dass die Existenz von Spinnen mein Leben stark beeinträchtigt; in negativer Weise. Also muss mal irgendwann eine Story über Spinnen kommen. Natürlich mit ein wenig Horror. Und im Bereich SF. Das ist eine der Storys (und da gibt es ein paar), die ich geträumt habe. Wenn alles glatt geht, kann ich mir die Träume auch gut merken, stehe auf und lege mit dem Schreiben los. So auch hier. Ich hoffe, Ihr hattet viel Spaß beim Lesen.

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Heiko

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