Espérance

KURZGESCHICHTE | Ein Gewitter kündigt sich an. Knapp oberhalb des westlichen Horizonts versinkt alles in einem wunderbaren Anthrazit. Ich zünde eine Zigarette an und drehe die Scheibe ganz runter. Über der Stadt reißt der Wind Lücken in die Wolkenpracht, Sonnenlicht drückt sich wie flüssiges Bernstein hindurch. Aus dem Tunnel heraus, bin ich auf der Hochstraße über das Kalker Industriegebiet, dann die langgezogene Rechtskurve und erreiche die Zoobrücke. Nur wenige Schiffe auf dem sommerlich trägen Rhein. Dann sehe ich die Frau rechts, ein Bein über dem Brückengeländer. Ich trete in die Bremse und komme wenig später zum Stehen. Warnblinker an, aussteigen. Gehupe! Ein Schritt und ich bin über der Leitplanke, auf dem Bürgersteig. Das zweite Bein hat sie nun ebenfalls auf der anderen Geländerseite, die Hände nach hinten gedreht, ein viel zu großer Parka flattert im Wind. Zehn Meter vor ihr bleibe ich stehen.
»Kann ich helfen?!«, rufe ich. Wieder hupen zwei Trottel. Langsam dreht sie den Kopf.
»Hau ab!«, brüllt sie zurück. »Bleib stehen!«
»Okay, okay! Ich stehe ja schon …«
Sie schüttelt den Kopf, blickt in die Tiefe. Ich suche die Bojen auf dem Wasser. »Vergessen Sie das!«, probiere ich mein Glück »Funktioniert nicht! Sie landen im Rollstuhl oder werden nur nass!« Die Frau sieht mich einen Moment an, als wäre ich der Irre hier, dann blickt sie wieder aufs Wasser.
»Ich bin doch nicht bekloppt!«, schreit sie in den stärker werdenden Wind. »Das ist tief genug!« Und wieder schaut sie mich an. Vielleicht, um sich durch meinen Anblick von der Richtigkeit ihres Vorhabens zu überzeugen. »Ich warte auf ein Schiff und springe dann aufs Deck«, erklärte sie.
»Kennen Sie sich mit Schifffahrt aus?«, erwidere ich und hole die Lucky Strikes aus der linken Hosentasche, das Feuerzeug aus der anderen. »Offenbar nicht, denn sonst sähen Sie, dass Sie außerhalb der Fahrrinne stehen. Schauen Sie auf die Bojen da unten. Die grünen Bojen sind links, die roten rechts. Falls unter Ihnen tatsächlich etwas auftauchen sollte, dann nur ein Regattaruderer.« Ich versuche krampfhaft, eine Zigarette anzuzünden. Der verdammte Wind. Dann endlich …
»Oh Gott! Ein Klugscheißer!«, schreit sie und ein langsam vorbeifahrender Mercedesfahrer schaut so intensiv zu uns, dass er auf die linke Spur gerät. Hupen und Finger sind die Antwort eines Golffahrers.
»Springen Sie doch einfach«, schlage ich vor, inhaliere tief und lass den Rauch vom Wind zerreißen. »Am besten mit dem Kopf voraus! Direkt in den Flussgrund. Genickbruch … oder tief eintauchen und ertrinken!« Ich muss nicht mehr schreien, denn mit jedem Halbsatz bin ich ein Stück näher herangekommen. »Ihre Augen sind zur Oberfläche gedreht, blicken den letzten Luftblasen nach und hops!«
»Ein Arschloch«, sagt sie Richtung Himmel.
»Ja, ich weiß. Da sagen Sie nix neues«, erwidere ich, mache kehrt und einen langsamen Schritt nach dem anderen Richtung Auto. Noch keine zehn Meter sind geschafft, da höre ich sie rennen und schnaufen.
»Warte, Arschloch!«
Ich warte nicht. Schon wieder hupende Autos. Einer zeigt den Finger. »Die sind alle so ausgelassen heute«, stelle ich fest und höre Schritte neben mir.
»So warten Sie doch!«
Ich bleibe stehen und schaue nach Westen, zur bedrohlicher werdenden Wolkenbank. Sie frisst das Tageslicht wie ein ausgehungerter Hund einen hingeworfenen Fleischberg. Die Frau stellt sich vor mich und haut mir energisch eine runter. Meine Kippe fällt zu Boden. »Da kommt ein Gewitter«, merke ich an. Es tut ordentlich weh an der Wange.
»Gott, was ein Arschloch!«, sagt sie. Dann knickt sie in den Knien ein und wäre beinahe umgekippt. Gerade noch bekomme ich sie zu fassen. Vielleicht ein Schock. Zu allem Überfluss ist in der Ferne ein Martinshorn zu hören. Darauf habe ich keine Lust, also schleppe ich sie zum Auto, drücke sie mehr schlecht als recht auf den Beifahrersitz, renne auf die Fahrerseite, steige ein und weiter geht es.

»Krieg‘ ich ’ne Zigarette?«, fragt sie nach einigen Minuten.
»Klar.« Ich halte die Schachtel hin, registriere zitternde Finger, konzentriere mich aber wieder auf den Verkehr. Von der Zoobrücke auf die Rheinuferstraße nach Süden, am alten Hafen vorbei in den Ubierring. Sie schmeißt die Kippe aus dem Fenster. »Ich habe das Auto mit Aschenbecher gekauft«, muss ich sagen und ernte einen strafenden Blick.
»Wo fahren wir hin?«
»Chlodwigplatz. Ich wollte was essen, da kam mir was auf der Brücke dazwischen.«
»Aber Sie bringen mich jetzt nicht in irgendeine dunkle Wohnung und tranchieren einen wehrlosen Frauenkörper, oder?«
»Nee, ich stehe eher auf Gyros.«
Sie kratzt sich im Ohr. Den Blick von der Seite kann ich deutlich spüren.
»Ich fahr mit. Hab auch Hunger.«
»Okay.«
Unter dem Severinstor entdecke ich einen Parkplatz. Ein seltener Glücksfall. Während des Einparkens blickt sie nervös nach allen Seiten, als wäre ich ein Fahrschüler. Ich stelle den Motor ab. Wir steigen aus, schauen uns an, das Autodach dazwischen. Sie rührt sich nicht vom Fleck und ich schließe ab.
»Auf geht‘s«, fordere ich sie auf, »etwas im Magen gibt Kraft für den nächsten Versuch.«
»Ein Arschloch«, meint sie, schüttelt den Kopf, dann gehen wir Richtung Platz, am Merzenich vorbei, über den Ring.
»Wo gehen wir hin?«, will sie wissen.
»Zu Mama.«
»Zu Mama?«
»Eine Griechin, Alteburger Straße. Da gibt’s den besten Gyros, einen Riesenteller, alles sehr günstig. Außerdem einen Fernseher und jede Menge Ruhe.«
Wir laufen den Ring nach Osten, ich zünde eine Zigarette an, reiche sie ihr und nehme ebenfalls eine. Plötzlich bleibt sie stehen. »Wie heißt du eigentlich?«
»Heinrich.«
»Heinrich? Und weiter?«
»Konstantin.«
»Heinrich Konstantin … das klingt okay.«
»Und wie ist dein Name?«
»Claudia.«
»Also schön, Claudia. Lass uns was Festes einwerfen.«
Vor dem Eingang von Mama stehen ein paar Leute und kämpfen mit ihrer Pytta. Wir treten ein. Die Griechin schmeißt den Laden zusammen mit ihren beiden Töchtern. Sie ist eine richtige Mama. Nichts und niemand macht ihr Angst oder kann sie beeindrucken. Um die Vierzig, bisschen mollig geworden, herb, attraktiv und ein ungeheuer schnelles Mundwerk.
»Was kriegt ihr?«
»Zwei Gyros mit allem Drum und Dran, zum hier essen, und zwei Rotwein.«
»Wird gemacht.«
Ich steuere den hinten gelegenen Speiseraum an. Zwei Gäste, Männer, dem Äußeren nach vielleicht vom Johanneshaus, dem Obdachlosenheim. Insgesamt fünf Tische. Wir setzen uns an den hinteren. Gleich darauf kommt eine der Töchter, stellt den Wein griffbereit, legt das Besteck vor uns hin und verschwindet. Mein Blick wandert vom Kühlschrank neben dem Durchgang, auf dem ein Fernseher thront und RTL II zum Besten gibt, zu Claudias Gesicht. In diesem Halbdunkel, das uns und alles andere umgibt, ist ihr Gesicht eine Art leuchtende Fläche. Mir ist nicht klar, wie dieses Leuchten zustande kommt. Vielleicht aus den Augen, die jetzt etwas offener wirken, mit leicht veränderter Farbe.
»So, bitte, zwei Gyros mit allem Drum und Dran.«
»Vielen Dank.«
Mama hat sich uns unbemerkt genähert, stellt die Teller ab und ist schon wieder weg. Es duftet herrlich. Eine Gabel Fritten verschwindet in Claudias Mund. Ihre Lippen sind gefurcht, rau, voll, die Unterlippe setzt noch einen drauf. Sie stoppt eine zweite Ladung Pommes auf halbem Weg.
»Hättest du mich wirklich springen lassen?«
Die Frage trifft mich unvorbereitet. »Was soll ich darauf antworten? Keine Ahnung«, ich bin aus dem Konzept. »Es ist natürlich dein Leben … was hättest du getan an meiner Stelle?«
»Angehalten und versucht, dich davon abzubringen«, erklärt sie mit fester Stimme. Sie nickt. Gedankenverloren, so ist mein Eindruck. Ich gabel das Gyros in mich rein. »Wenn ich nun gesprungen wäre? Was hättest du getan?«, bohrt sie weiter. Meine Antwort lässt auf sich warten und das tut Claudia.
»Also, ich habe eine Heidenangst vor Wasser, zumal vor solch schnell fließenden, nicht sonderlich sauberen Flüssen«, gebe ich zu. »Ob ich diese Angst hätte überwinden können«, verlegen stochere ich im Fleisch. »Ich weiß nicht. Und ich bin heilfroh, dass es nicht so weit gekommen ist.«
Claudia fixiert mich. »Du bist nicht cool«, stellt sie fest.
»Nein, natürlich nicht.«
»Tut mir leid, dass ich dich so beschimpft habe.«
Claudia trinkt den Rotwein halbleer, schüttelt sich kurz und isst weiter. Unsere Teller werden leerer, wir schweigen, kauen, trinken. Zumindest ich lausche immer wieder den leeren Worthülsen aus dem Fernseher, die beiden Männer am vorderen Tisch schnarchen vor leeren Bierflaschen.

»Ich möchte gehen«, sagt sie plötzlich.
»Ja, natürlich.«
Claudia drückt den Stuhl mit den Knien zurück und steht auf. Ich greife nach einem Fünfziger in der Hosentasche, gehe zügig aus dem Speiseraum an die Theke, bezahle, inklusive ordentlichem Trinkgeld und verlasse Mamas Gyros-Restaurant. Claudia folgt und stellt sich vor mich.
»Du sollst mich nicht einladen«, protestiert sie und zückt einen Zwanziger. Ich schüttle den Kopf und biete ihr eine Zigarette an. Claudia greift zu. »Na gut«, gibt sie nach. »Wenn du schon Spendierhosen anhast … fährst du mich nach Hause?«
»Warum nicht? Wohin geht es denn?«
»Gereonswall.«
»Gar kein Problem. Liegt auf meinem Weg.«
»Wo wohnst du?«, hakt sie neugierig nach.
»Stammstraße, in Ehrenfeld.«

Auf dem Weg zum Gereonswall raucht sie die Lucky Strike und redet kein Wort. Ich höre Beatles, nehme die Nord-Süd-Fahrt, Turiner Straße und biege am Eigelstein ab. Wie verhext erwische ich am Tor umgehend einen Parkplatz. »Das muss an dir liegen«, feixe ich, »schon zum zweiten Mal heute einen Parkplatz. Du bringst Glück.«
»So?« Sie sieht mich von der Seite an. »Das wüsste ich aber, dass ich Glück bringe.«
»Aussteigen. Ich hol mir drüben im Kiosk noch eine Stange Luckys.«
Wir steigen aus, Claudia folgt mir wie ein herrenloses Hündchen. Ich bleibe stehen und drehe mich um. »Warum läufst du nicht neben mir? Bin ich zu schnell?«
»Nein, aber …«, sie schweigt. Ich gehe weiter, langsamer. Mit schnellen Schritten schließt sie auf. Nebeneinander biegen wir in den Gereonswall, queren ihn und verschwinden im Pützken, dem Kiosk am Eck. Ich ordere eine Stange Luckys und stelle erstaunt fest, dass es schon wieder eine Preiserhöhung gegeben hat. Zähneknirschend lege ich 36 Mark auf den Tisch. Wieder draußen starrt Claudia auf die Zigaretten. Ich reiße die Stange auf und nehme fünf Päckchen raus.
«Halbe-halbe?«
»Okay. Danke!« Sie greift die Zigaretten und sieht mich an, unsicher, fast panisch. Mit einem Mal beginnt sie stark zu zittern. »Du willst jetzt nach Hause?«, fragt sie zögerlich.
»Hatte ich vor.«
»Kann ich mit?«
Ich ziehe beide Augenbrauen hoch und atme tief ein.

Es klackt vernehmlich, als ich in der Stammstraße die Wohnungstür öffne. Claudia schleicht hinter mir herein, vergisst die Tür zuzumachen, sucht schnurstracks die Toilette, findet sie und verschwindet darin. Also Wohnungstür zu, Schuhe aus. Nichts auf dem Anrufbeantworter und der Briefkasten war freundlicherweise ebenso leer. Ich gehe in die Küche, entkorke eine Flasche Beaujolais, nehme die beiden einzigen Weingläser und setze mich ins Wohnzimmer. Erst jetzt fällt mir auf, wie erschöpft ich bin. Beidhändig reibe ich ein paar Mal übers Gesicht. Dann schenke ich die Gläser halbvoll und lege Zappa auf, Over-Nite Sensation. Es knistert, Camarillo Brillo stürzt aus den Boxen. Claudia taucht im Türrahmen auf.
»Gott, was ist denn das für schräge Musik?« Sie biegt um die große Couch, setzt sich gegenüber in den Sessel, und bevor ich antworten kann, schnappt sie sich das Glas. »Ist der für mich?« Ich nicke.
»Das ist Frank Zappa«, erkläre ich und reiche ihr das Cover. Zappa-Cover sind in der Lage, zu verwirren. Sie legt es nach kurzer Betrachtung auf den Tisch.
»Hab ich schon mal irgendwo gehört. Ich dachte, der macht Schlager oder so was.«
Ich kann einen Seufzer nicht vermeiden. Sie trinkt ihr Glas auf einen Zug leer und zündet sich eine Lucky an.
»Also keine Schlager«, deutet sie meine Reaktion.
»Nein. Keine Schlager. Aber vielleicht nicht ganz die richtige Musik für dich. Was würdest du denn gerne hören? Mal sehen, vielleicht hab ich es ja?«
Sie schiebt die Unterlippe vor und denkt nach.
»Vorhin im Auto hattest du Beatles auf der Kassette. Das gefällt mir.«
Ich stehe auf und gehe zum Wandregal.
»Um Gottes Willen«, höre ich ihren erstaunten Ausruf. »Das sehe ich ja jetzt erst. Sind das alles Platten?«
»Ja. Was möchtest du von den Beatles? Eher die frühen Jahre? Oder lieber die späten Sachen?«
»Früher, später, ist mir egal.« Die Unsicherheit in ihrer Antwort ist nicht zu überhören. Sie hat keine Ahnung von frühen oder späten Jahren der Beatles. Vielleicht fange ich mit A Hard Days Night an. Vorsichtig schiebe ich Zappa in die Hülle und lege die vier Jungs aus Liverpool auf. Draußen rumpelt es gehörig. Das Gewitter erreicht Köln.

Claudia stürzt den Wein in sich hinein, dass jedem Weinhändler das Herz aufgegangen wäre.
»Darf ich dich was fragen, Claudia?«
»Du willst wissen, warum ich jetzt hier bei dir sitze und nicht daheim?«
»So ungefähr …«
»Du fragst dich, ob ich dich nicht angelogen habe und gar nicht am Gereonswall wohne.«
Ich wiege den Kopf hin und her. »Der Gedanke kam mir, ja.«
Sie starrt mich an wie ein Metzger das noch unzerteilte Stück Fleisch vor sich. »Mein Freund wohnt dort. Es ist seine Wohnung.« Sie dreht ihren rechten Ohrring unentwegt mit dem Zeigefinger.
»Okay. Du wohnst mit deinem Freund zusammen am Gereonswall. Aber du willst nicht mehr dort hin zurück.« Ich sehe sie fragend an. »Richtig?«
»Ich kann nicht mehr zurück.«
»Ihr habt euch verkracht?«
Sie zieht ein letztes Mal an der Zigarette, die bis zum Filter abbrennt, drückt sie aus und steht auf, sieht mich fest an. Mit einer schnellen Bewegung zieht sie Pullover und Trägershirt aus, reißt den BH runter und dreht sich um. Ich will von der Couch aufspringen, erstarre mitten in der Bewegung. Träge falle ich zurück. Ihr Rücken ist wie der von Kirk Douglas in Spartacus. Striemen, hellrote, rosafarbene, teils offene Striche. Blaue Flecken dazwischen. Ich kann den Blick nicht von diesem Rücken nehmen.
Hastig folgen Claudias Hose, die Unterhose. Blutergüsse auf Hüfte und Hintern, in allen Farben schillernd. Es raubt mir den Atem. Meine Kehle schnürt sich zu. Ich renne ins Bad. Mit meinem blauen Bademantel kehre ich zurück. Claudia sitzt in Unterhose auf dem Sessel, zieht an der nächsten Zigarette und starrt an die Decke.
»Bitte, zieh den Bademantel über!« Ich sehe weg und sie nimmt ihn mir ab.
»Ich kann nicht zurück. Verstehst du, was ich meine?«
»Ja«, sage ich mit trockenem Mund.
»Du kannst dich umdrehen, Heinrich.«
Ich hole tief Luft und setze mich auf die Couch. Bis zum Ende der Platte sagen wir nichts. Als der Tonarm in Ruhestellung ist, steht sie auf, geht die paar Schritte zum Wandregal und stöbert in den Platten, zieht Cream heraus. »Ich bin schwanger«, offenbart sie mir tonlos.
»Was?! Schwanger?!«
»Ja.«
»Aber … du wolltest euch beide töten?« Mein Blick fixiert einen Kalenderdruck von Dalis zerrinnender Zeit an der Wand gegenüber. Ein wundervolles Gemälde.
»Kann ich nicht hier bleiben? Ich habe keine Ahnung, wo ich hin soll.«
Ich bin in einem Sog und es kann darin nur eine Antwort geben.

Mit quietschenden Rollen schiebe ich das Gästeklappbett in mein Büro, drücke die Hälften auseinander und beziehe es.
»Du musst nicht hier schlafen. Ich kann hier schlafen«, meint sie, im Türrahmen stehend.
»Schon gut. Ich muss noch ein wenig arbeiten und kann dann gleich hier pennen, ohne dich zu stören.«
»Okay.«
Sie verschwindet im Badezimmer. Völlig erschöpft lasse ich mich auf den Bürostuhl fallen. Was soll ich bloß mit ihr machen? Wegen mir könnte sie in meinem Schlafzimmer in Untermiete wohnen. Dem Vermieter wäre eine Freundin-Story ohne Probleme aufzutischen. Mietvertrag erweitern, ein wenig mehr Geld. Alles nichts, über was man sich Sorgen machen muss. Aber da ist noch ihr Typ, der Vater des Kindes. Ich an seiner Stelle, gäbe dieses Kind samt Mutter nicht so ohne weiteres auf. Und Köln ist zwar eine Großstadt, aber im Herzen ein Dorf. Wenn der Typ sucht, wird er sie finden.

Vor dem Fenster mehrfaches Blitzen, gleich darauf der Donner. Claudia erscheint wieder im Türrahmen. »Ich habe deine Zahnbürste genommen, weil ich keine andere gefunden habe. Ist das schlimm?«
»Nein«, schüttele ich den Kopf. »Ist völlig okay. Morgen besorgen wir dir ein paar Sachen zum Anziehen und was man so fürs Bad braucht.« Mir kommt ein Gedanke. »Hast du am Gereonswall noch wichtige Papiere? Etwas, was mit deinem Baby zu tun hat? Versicherungen? Deine Geburtsurkunde und so?«
Sie nickt.
»Wir werden das besorgen müssen. Was macht dein Typ denn so arbeitsmäßig?«
»Der ist bei der Feuerwehr.«
»Feuerwehr? Berufsfeuerwehr Köln? Auf welcher Wache?«
»Feuerwache zwei, am Militärring in Marienburg.«
»Hm«, ich überlege. »Feuerwehr heißt Nachtdienst, Tagdienst, nicht wahr?«
»Ja. Warum?«
»Hast du einen Schlüssel zu der Wohnung?«
»In meiner Hose.«
»Hast du seinen Dienstplan im Kopf?«
»Ja, natürlich.«
Ich lächle sie an. »Sehr gut.«

Mein Blick fällt auf den kleinen Wecker rechts vom Monitor. Schon halb eins. Wie nebenbei registriere ich durch das gekippte Fenster den gleichmäßigen Dauerregen. Claudia schläft hoffentlich und ich kann mich meiner Arbeit widmen. Vor zwei Wochen habe ich den alten Rechner entsorgt und bin nun stolzer Besitzer eines 386er. Damit lektoriere ich Texte. Allerlei, vom Roman zum Fachbuch. Heute jedoch lässt mich die Konzentration im Stich. Was soll ich mit Claudia tun? Ich stehe auf, um nach ihr zu sehen. Langsam öffne ich die Schlafzimmertür und spähe hinein. Das Lämpchen auf dem Schränkchen wirft ein dunkelgelbes Licht aufs Bett. Mein Bademantel liegt zusammengeknüllt davor, Claudia auf dem Bauch, die Decke bis zum Hals gezogen. Und da ist noch jemand. Drei Monate alt oder was hatte sie gesagt? Ein kleines Menschlein. Schon jetzt gefangen in Furcht und Bitterkeit. Ich schließe die Tür und schlurfe müde in die Küche. Der Kerl hat weder ihren Hals, das Gesicht noch die Beine malträtiert. Alles was sichtbar ist. Wie lange macht man so etwas mit? Die Müdigkeit wird übermächtig.

Als ich vom Bäcker komme, sitzt Claudia im Bademantel in der Küche an einem fertig gedeckten Tisch. »Guten Morgen, ihr beiden. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen?« Sie nickt wortlos, ohne mich anzusehen. Als ich hinter ihr vorbei gehe, um die Brötchen auf die Ablage unter dem Fenster zu legen, die Tüte raschelt, ich mich unbewusst räuspere, zuckt sie zusammen, rutscht vom Stuhl und kauert sich wimmernd unter der Tischplatte zusammen. Ich stehe starr und sehe fassungslos zu ihr runter. Mein Herz rast, der Puls pocht wild. Schnell lege ich die Brötchen weg und rutsche am Küchenschrank auf den Boden, sitze einen Meter von ihr entfernt und fange an zu reden.
»Ich habe Brötchen geholt für uns. Für dich und mich. Und da ich nicht wusste, was du so magst, bat ich die Verkäuferin, von jeder Sorte eins einzupacken. Stell dir vor, jetzt haben wir sechzehn Brötchen. Aber wir können sie problemlos aufbacken. Ich kann daraus sogar gute Hamburger zaubern. Im Kochen bin ich gar nicht schlecht.« Claudia zittert. »Ich hab mir gedacht, wir gehen nach dem Frühstück rüber in die Venloer Straße und machen einen Einkaufsbummel. Du brauchst Klamotten, Waschzeug, eine Tasche und ein kleiner Rucksack wäre auch nicht schlecht. Warst du schon mal in der Venloer? Da gibt es einfach alles.« Ich stehe auf und setze mich an den Tisch. »Und jetzt komm, Claudia. Ich bin es nur, Heinrich. Du bist hier in Sicherheit. Nichts und niemand wird dir etwas tun …«
Das Telefon klingelt. »Bin gleich wieder da.« Ich laufe in den Flur und hebe ab. »Konstantin? Ah, Servus! Wie isset? Auch gut, danke. Ja, hab ich, dreieinhalb Zoll Diskettenlaufwerk, kein Problem. Und bis wann soll das fertig sein? Sechs Wochen? Ist okay. Falls ich länger brauche, melde ich mich.« Ich lege auf und gehe zurück in die Küche. Claudia sitzt am Tisch.
»Ich hab deine Kaffeemaschine gefunden, aber keine Ahnung, wie das Ding funktioniert«, meint sie trocken. Keine Bemerkung über das was geschehen ist.
»Kein Problem. Ich mach dir einen. Möchtest du ihn stark oder noch stärker?«
»Stark, bitte«, entgegnet sie.
»Wie wäre es mit einem Milchkaffee? Ich tu den Espresso in eine Schale und gieße aufgeschäumte Milch darüber.«
Sie nickt. Sorgfältig bereite ich den Milchkaffee zu. Sie beginnt zu schluchzen, ihr Teller klappert. Ich stelle den Milchkaffee beiseite und drehe mich um. Ein Ellenbogen auf dem Tisch, den anderen auf dem Teller, verbirgt sie das Gesicht in den Händen. Am liebsten hätte ich sie in die Arme genommen, aber das kann alles verschlimmern. Stattdessen steht Claudia auf und verlässt die Küche. Ich höre die Couch knarzen. Entschlossen schnappe ich den Milchkaffee und folge ihr.

Da sitze ich nun. Vor der Couch auf dem Boden und versuche auf dem Dali etwas Neues zu entdecken. Claudia liegt ausgestreckt auf den Polstern, ein Kissen auf ihrem Bauch haltend. Der Milchkaffee wird kalt. Ich trinke einen Schluck und finde, dass er ziemlich gelungen ist. »Claudia. Spitz die Ohren, ich habe einen Plan.« Sie mustert mich mit wässrigen Augen.
»Mh?«
»Heute Nacht konnte ich nicht arbeiten, zu aufgewühlt. Also hatte ich Zeit zu überlegen. Und das hab ich getan. Ich denke, dass ich eine gute Idee habe.« Ich drehe mich und knie vor ihr. So dicht, dass ihr angenehmer Geruch in meine Nase steigt. »Ich habe einen Freund in der Bretagne. Robert. Angefangen hat es mit einer Brieffreundschaft in der achten Klasse. Nach seinem Militärdienst hat er eine Schreinerlehre gemacht, eine Gärtnerlehre dran gehängt, geheiratet, und dann ziemlich günstig einen verlassenen Bauernhof in der Bretagne gekauft. Inzwischen haben die beiden zwei Kinder und nehmen immer andere Kinder aus sozial schwachen Familien aus Paris auf. Meistens wohnen bei ihm drei oder vier. Er bekommt etwas Kohle vom Staat, bringt sie wieder in die Spur, sie gehen dort zur Schule, und alle zusammen bewirtschaften den Hof.« Ich mache eine Pause. Claudia hört mir aufmerksam zu. »Es ist wunderschön dort. Unweit von Quimper, fast am Atlantik. Und jetzt mein Plan: Ich rufe Robert an und frage, ob du bei ihm wohnen kannst. In der Zeit deiner Schwangerschaft. Du kannst sogar dein Kind dort bekommen, denn Jeanne, Roberts Frau, ist Hebamme. Dort wird dich niemals jemand finden, und schon mal gar nicht«, ich stocke. »Du weißt schon.« Claudia mustert mich mit unruhigen Pupillen, als würde sie meinen Kopf bis ins letzte Detail erfassen wollen.
»Wie soll ich denn das bezahlen? Essen, Unterkunft … ich hab nichts.«
»Ach was, mach dir darüber keine Gedanken. Du Robert, Jeanne und es«, ich deute auf ihren Bauch. »Das wird deine kleine Familie sein. Hier in Köln hast du nichts. Aber dort alles. Wärme, Frieden, Geborgenheit. Hier nur Angst. Egal wo du dich bewegst in Köln, du wirst dich immer umsehen, ob er nicht irgendwo hinter dir ist. Oder?«
Mit Schwung presst sie sich das Kissen aufs Gesicht und schluchzt hinein. Ich lasse sie eine Zeitlang in Ruhe, dann lege ich die Hand an ihren Kopf und kraule sie vorsichtig. »Sei mutig!. Es wird nichts Schlimmes passieren. Dort kannst du leben, frei sein. Und dort kannst du dein Kleines zur Welt bringen. Wir kaufen nachher alles Wichtige, ich rufe Robert an, dann fahren wir los.«
Nach einiger Zeit nehme ich das Kissen weg. »Nicht, dass du noch daran erstickst. Dann könntest du nicht den Atlantik sehen und Roberts Bauernhof, mit seinen Ziegen, Schafen, drei Milchkühen, den lästigen Hühnern und einem störrischen Esel.«
Claudia lächelt. Ich schlucke einen Kloß hinunter. »Kann ich dort auf dem Hof arbeiten?«
»Klar. Melken, Eier einsammeln, Kartoffeln hacken und ernten, bestimmt alles, was du willst und kannst. Vielleicht sogar Robert helfen, die Kinder wieder zu Kindern zu machen, damit sie keine Scheusale werden.«
Claudia blickt zur Decke. Raufaser, weiß mit Nikotinanteilen. »Also gut. Ich bin einverstanden.« Sie kommt hoch, drückt mir einen Kuss auf die Wange. Dann steht sie auf und geht ins Bad.

»Heinrich?«
»Ja?«
»Ich habe kein Geld. Das weißt du, oder?«
Wir stehen in der Venloer Straße und ich luge gerade auf den Zettel, den wir gemeinsam geschrieben haben. Claudia zieht an einer Lucky und erntet einen bösen Blick von mir. »Denk an dein Baby. Alles Gift wandert direkt durch die Nabelschnur in den kleinen Körper!«
»Du redest wie meine bescheuerte Mutter.«
»Nein, ich rede wie jemand, der versucht, vernünftig zu sein.«
»Okay«, seufzt sie und schmeißt die Kippe auf den Boden.
»Was ist eigentlich mit deiner bescheuerten Mutter. Bist du schon mal mit dem Problem zu ihr gegangen?«
»Ist schon lange tot.«
Ich nicke mit zusammengepressten Lippen. Falsche Frage. Ich ahne, dass ich gar nicht nach einem Vater fragen muss. Also das Geld. »Mach dir keine Gedanken ums Geld. Die paar Ausgaben bringen mich nicht um. Sehen wir es als Investition in die Zukunft. Ich fahre nie in Urlaub, außer mal ein paar Tage zu Robert. Ich hab keine Freundin, muss keinen Unterhalt zahlen, die Wohnung ist billig. Was soll ich also mit dem Geld machen? Ist nur Geld. Und jetzt gehen wir hier rein.«
Es ist irgendein Kleiderladen für die junge Frau von heute. Claudia gehen die Augen über. Dementsprechend dezimieren wir den Bargeldbetrag in meinem Geldbeutel. Ich rate ihr zu warmen Klamotten, denn der Atlantik ist nicht der wärmste Kamerad und seine Winde meist kühl. Nach vier Stunden ist der Kofferraum meines Commodore ansehnlich gefüllt. »Wahnsinn«, sage ich und nehme Claudia die Lucky weg, bevor sie sie anzünden kann. »Wir machen einen Deal, Claudia. Du hörst auf zu rauchen und ich höre ebenfalls auf zu rauchen, solidarisch. Das ist fair. Und wenn dein«, ich stupse mit dem Finger auf ihren Bauch, »Baby kommt, dann wird das Verlangen hoffentlich weg sein.«
»Ich kann dich aber nicht kontrollieren, wenn du wieder hier bist und ich am Ende der Welt.«
»Ich verspreche es dir. Ganz einfach.«
Für eine kurze Ewigkeit haftet ihr Blick fest auf mir, dann nickt sie. »Okay.«

Als ich bei Robert anrufe, treffe ich mitten in ein Wespennest. Stimmengewirr. Jemand verlangt nach abgekochtem Wasser im Hintergrund. Robert erklärt nicht mir, sondern irgendwem, wo die Strohballen liegen.
»Robert? Allô! Robert!«
»Gueule!«
»Qu’est-ce que …?«, rufe ich überrascht.
»C’est bougrement difficile … putain!«
Ich nehme den Hörer vom Ohr und sehe kurz in die Küche. Claudia wühlt in ihren neuen Kleidern. Entschlossen halte ich die Muschel vor den Mund.
»Robert! Ich bin es! Heinrich! Henry! Verdammt!«
Kurze Stille im Lautsprecher, Stimmen aus dem Off.
»Einrisch?«
»Oui, mon ami.«
»Entschuldige. Hier geht es drunter und drüber! Was gibt es denn?«
»Ich habe hier eine Person, die Hilfe braucht. Wirkliche Hilfe. Sie muss hier weg!«
»Okay. Einfach bringen.« Im Hintergrund höre ich eine laute Stimme nach Robert schreien. »Einrisch, ich muss auflegen. Die Kuh kalbt, aber es will nicht so recht klappen. Komm einfach her.« Er legt auf und ich starre noch einige Sekunden auf den Hörer. »Also dann los«, sage ich zum Telefon. Claudia steht überraschend hinter mir. Vorsichtig legt sie ihre Hand um meine Hüfte. Ich zucke zusammen.
»Was war denn da los?«
»Roberts Kuh kalbt. Es ist hektisch. Er meinte: Einfach herkommen.« Ich grinse sie an. »Hat dein … du weißt schon … nicht zufällig Tagdienst?«

Laut ihrer Aussage beginnt sein Dienst um 19 Uhr. Wir fahren inklusive Fernglas zum Marienburger Golf-Club, gehen spazieren und schlagen uns gegenüber der Feuerwache ins Wäldchen. Ich reiche ihr die Optik. »Es ist jetzt kurz vor sieben. Wenn du ihn siehst, gib Bescheid.«
Wir warten. Während ich mich in einem schlechten Agentenfilm wähne, starrt Claudia fast regungslos in die Linsen. Ab und zu bewegt sie das Glas ein Stück von links nach rechts, um die Wache komplett abzusuchen. Kurz vor sieben kommen Autos, andere fahren weg. Dann plötzlich setzt sie das Glas ab und sieht mich an. Sie schließt die Augen und dreht sich weg. Schnell nehme ich ihr das Fernglas aus der Hand und sehe hindurch. Ein dunkelhaariger Mann geht zügig auf das Verwaltungsgebäude zwischen den beiden Fahrzeughallen zu, zieht die Tür auf und verschwindet darin.
»War er das?«, flüstere ich. Sie zittert und hält die Hände vors Gesicht. Ganz offensichtlich war er das. »Ganz ruhig. Er wird uns hier nicht sehen. Zu viele Äste, Blätter, Unterholz. Wir warten noch eine halbe Stunde, um uns zu vergewissern, dass er nicht nur eine Krankmeldung bringt. Dann fahren wir in den Gereonswall. Okay?«
Sie nickt, das Gesicht immer noch hinter den Händen verborgen.

Kurz nach halb neun parke ich im Gereonswall, knappe siebzig Meter vor dem Wohnhaus, nachdem wir zwei Mal hoch und runter fuhren, um zu kontrollieren, ob sein Auto tatsächlich nicht hier steht. Claudia gibt mir den Schlüssel, einen Zettel mit einer Liste und einer Beschreibung, wo ich was fände. Ich schärfe ihr ein, sofort zum Kiosk zu laufen, falls etwas schief geht, dort die Polizei zu rufen oder rufen zu lassen. Sie ist ein Bündel Angst auf dem Beifahrersitz, umfasst mit beiden Händen die Oberschenkel und zittert wie Espenlaub. »Claudia, sieh mich bitte an.« Es kostet sie sichtlich Kraft, ihren Kopf zu drehen. »Alles wird gut. Ich bin nicht lange weg.«
»Du kennst ihn nicht«, warnt sie mich. Ich nicke ihr zu und steige aus, hoffe, dass sie den Moment meiner Abwesenheit aushält. An der Haustür angelangt, schließe ich auf, gehe zügig in den ersten Stock und öffne ohne Zögern die Wohnungstür. Ich rechne mit Problemen, aber alles ist ruhig. Nach einem kurzen Blick in jeden Raum, bin ich dankbar um Claudias sehr gute Beschreibung, denn zwischen einer Müllhalde und dem Zustand der Wohnung gibt es keinen nennenswerten Unterschied. Im Raum, den man als Wohnzimmer bezeichnen kann, entdecke ich hinter Vitrinentüren drei Ordner, auf einem steht Claudia. Ich nehme ihn an mich, ziehe die oberen Schubladen auf und entdecke den Reisepass, stecke ihn ein und schon bin ich fertig. Im Flur fällt mir im Augenwinkel ein kleines Foto auf, das in einem geschmacklosen Metallrahmen steckt. Zwei Mädchen sind zu sehen, im Hintergrund ein Mann mit schütterem Haar, der an einem Motorrad schraubt. Vielleicht Claudia, denke ich und stecke es ein. Ich überlege, ob ich den Schlüssel hier lassen soll, entscheide mich aber dagegen. So schnell wie ich gekommen bin, verdünnisiere ich mich.


*

Kurz vor zehn passieren wir die belgische Grenze hinter Aachen. Claudia hat den Sitz ganz zurückgeschoben und die Lehne abgesenkt. Sie schläft auf der Seite, zugedeckt mit meinem Schlafsack, den ich mitgenommen habe. Ich sehe ihr Profil. Ein fein gezeichnetes Ohr, hochgesteckte Haare … sie ist eine Schönheit. Hinter Lüttich steuere ich in eine Raststätte, tanke, besorge Cola zum Wachbleiben, ein paar belegte Brötchen und gehe aufs Klo. Dann geht es weiter. Claudia schläft wie ein Murmeltier. Vielleicht muss sie Jahre an Schlaf nachholen, an Frieden und Ruhe. Für sich und das kleine Menschlein in ihr. Belgien fliegt an uns vorbei und um halb zwölf fädele ich mich in den PKW-Streifen an der französischen Grenze ein. Die Grenzer werfen einen müden Blick in den Wagen und winken uns durch. Frankreich ist erreicht. Als wir die Somme überqueren, streckt Claudia sich, hebt den Kopf und lugt aus der Seitenscheibe. Frankreich bei Nacht. Ein paar LKWs, zwei oder drei andere Autos, mehr ist nicht los.
»Wo sind wir?«
»Gerade haben wir die Somme überquert. Gleich kommt ein Autobahnkreuz. Dort biegen wir ab Richtung Amiens.«
Sie gähnt ausgiebig. »Das sagt mir alles nichts. Ich war noch nie in Frankreich, und Erdkunde hab ich wohl verschlafen.«
»Kein Problem. Wir sind etwa 130 Kilometer nördlich von Paris. Wenn wir jetzt abbiegen«, ich setze den Blinker, »dann fahren wir exakt in westlicher Richtung auf den Ärmelkanal zu. Zunächst mal Richtung Le Havre.«
»Hm«, sie kratzt sich am Kinn. »Le Havre hab ich schon mal gehört.«
»Nördliche Normandie. Das Département heißt Haute-Normandie.«
»Aha. Was du so alles weißt. Aber Normandie kenne ich auch. Da kommt der Camembert her.«
Ich grinse in die Dunkelheit. »Genau.« Claudias Hand berührt meinen Arm.
»Kannst du überhaupt noch fahren?«
»Null Problemo. Wirklich. Wenn ich im Auto sitze, vor allem nachts, und solche Strecken fahren kann, dann fühle ich mich gut. Auf der Straße unterwegs sein, 1.000 Kilometer, das ist genau mein Fall.«
»Tatsächlich? Ich bin mit dem Idioten bestenfalls nach Bad Münstereifel zum Minigolf gefahren. Da konnte er sicher sein, dass nur alte Knacker seine hübsche Freundin mustern.«
»Er ist eifersüchtig?«
»Eifersucht ist ein zu milder Begriff. Ab und zu kamen ein paar seiner Feuerwehr-Kumpels, und die Anweisungen für mich lauteten, zum einen schön aussehen, zum anderen Bier und Knabberzeug auf den Tisch stellen und wieder abräumen. Und wenn sie alles leer gesoffen und gefressen hatten, begann der zweite Teil meines Jobs, nämlich abräumen und spülen, sauber machen. Dann stand er meist hinter mir und redete über seine Kumpels und dass doch dieser und jener mir schöne Augen gemacht hätte …«, ihre Stimme versiegte, sie atmete schwer ein und aus, »… und dann ging es los.«
Ich frage nicht, was dann los ging. »Das ist jetzt vorbei, Claudia. Für immer.«
»Macht es dir was aus, wenn ich noch ein wenig schlafe? Ich bin so müde wie schon lange nicht mehr.«
»Nein. Schlaf ruhig.«
Sie kuschelt sich wieder unter den Schlafsack und ich sehe gerade noch den Hinweis auf Amiens und die nächste Abzweigung.

Es geht über die Seine, die Stadtautobahn von Rouen, weiter Richtung Caen. Nicht mehr lange, und ich werde mit Claudia einen Blick auf den Atlantik wagen, hinaus nach Westen, der Nacht hinterher. An einem Parkplatz halte ich kurz an, um zu pinkeln und ein wenig zu essen. Mich verlangt nach einer Zigarette oder besser gleich drei auf einmal. Aber versprochen ist versprochen. Ein paar Dehnübungen, fünf Runden ums Auto, dann starten wir wieder durch. Caen, Avranches, Rennes kommt schnell näher. Dort haben die Franzosen beschlossen, das Ende der Autobahn zu setzen. Die Bretagne ist autobahnfrei. Ein paar gut ausgebaute Nationalstraßen machen das wett. Ich nehme die N24 über Ploërmel und Lorient. Mein Ziel ist, mit Claudia den Morgen am Pointe du Raz zu beginnen. Ich drücke aufs Gaspedal und habe den Eindruck, durch die französische Nacht zu fliegen.

Es ist 6 Uhr 35, als wir durch Lescoff fahren und auf dem großen Parkplatz halten. So leise wie möglich schließe ich die Autotür, gähne und strecke mich ausgiebig. Dann hole ich von der Rückbank die restlichen Brötchen und zwei Dosen Cola. Jetzt fühle ich mich recht benommen, aber als ich Claudia aus dem Wagen kriechen sehe, geht es mir gleich besser. Sie kratzt sich am Kopf und fällt beinahe über den Schlafsack.
»Ach Gott, ist das kalt hier. Wo sind wir denn jetzt? Noch nicht bald da?«
»Doch. Wir sind da. Am Pointe du Raz, dem westlichsten Punkt Frankreichs. Darf ich dich zu einem kurzen Spaziergang einladen?«
»Erst muss ich ein paar warme Klamotten überziehen.« Sie holt sich Pullover, Schal, dicke Jacke, Stricksocken und warme Schuhe aus der großen Reisetasche, zieht alles an und stellt sich vor mich. »Wir können gehen.«
»Prima.«
»Wie weit ist es?«
»Paar hundert Meter. Ich nehme die Brötchen und zwei Cola mit. Was anderes haben wir jetzt grad nicht da. Ist das okay?«
»Ja, natürlich.«
»Und würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Welchen?«
»Schließ deine Augen. Ich führe dich.«
Sie nickt, schließt die Augen und wickelt den Baumwollschal um ihren Kopf.
»Jetzt sehe ich nichts mehr.«
»Sehr gut.«

Der Weg ist gut zu laufen, wir marschieren nicht zu schnell. Claudia hat sich bei mir untergehakt. Als wir am Gebäude ankommen, umrunden wir es und legen die letzten Meter bis zum Ende des ausgebauten Weges zurück.
»Wir sind da, aber noch nicht die Augen aufmachen. Erst will ich wissen, was du hörst.«
»Das ist ziemlich laut hier. Ich tippe auf Wellen.«
»Warst du schon mal am Meer?«
»Als Kind, einmal.«
»Also dann, willkommen am Atlantik.«
Claudia reißt den Schal vom Kopf, erstarrt mitten in der Bewegung. Ob ihr Blick irgendwo nach vorne auf einen Punkt im Atlantik zielt oder eher tief in ihr Inneres, ist unklar. Der Wind zieht und zerrt an uns. Weit im Westen verschwindet die Nacht. Ich stelle mich hinter Claudia und bewege ihre Schultern eine Vierteldrehung nach rechts.
»Dort drüben ist Irland. Etwa 500 Kilometer von hier, und dort«, eine Vierteldrehung zurück, »ist Amerika. Ein wenig mehr als 5.000 Kilometer.« Eine Bö kommt angefegt, reißt uns fast um. Ich halte sie fest an mich gedrückt. »Riechst du das, Claudia?«, flüstere ich in ihr Ohr. Sie dreht den Kopf zu mir. Tränen laufen über ihre Wangen.
»Das Meer?«
»Nein. Freiheit. Hier riecht es nach Freiheit.«

Sie umarmt mich so schnell, dass ich beinahe ein Opfer der nächsten Bö werde, zusammen mit ihr. Dann ihr Schluchzen an meinen Pullover. Mit den Händen schütze ich ihren Kopf vor dem Wind. Minutenlang stehen wir dort und rühren uns nicht. Bis die Müdigkeit sich meldet. »Lass uns zum Auto gehen und was essen. Dann fahren wir zu Robert. Ich bin ziemlich müde. Einverstanden?«
Claudia löst sich von mir. Wir beginnen den Rückweg. Ihre Hand liegt in meiner. »Ich habe Hunger«, sagt sie bestimmt. Als wir beim Auto sind, bricht die Sonne durch die Wolkenbänke im Osten. Wir setzen uns, schlingen die aufgeweichten Brötchen runter. 800 Kilometer in Cellophan hinterlassen Spuren. Dazu eine angenehm warm temperierte Cola.
»Claudia?«
»Ja?«
Ich hole aus dem Fach in der Fahrertür das Foto aus der Wohnung.
»Ich kam nicht an dem Foto hier vorbei, ohne es mitzunehmen. Bist du eines der beiden Mädchen?«
Sie hört auf zu kauen und starrt darauf. Langsam stellt sie die Cola auf die Ablage und greift mit zittrigen Fingern nach dem Metallrahmen. Mit der anderen Hand zeigt sie auf das linke Mädchen. »Das bin ich. Das rechts meine Schwester.«
»Und der Mann?«
»Unser Vater.«
Ihre Stimme ist wie ausgehöhlt. Leer. Mein schlechtes Gewissen meldet sich. »Hätte ich das nicht von der Wand nehmen sollen?«
»Schon gut«, beruhigt sie mich. »Ich …«
»Komm, lass uns fahren.«
»Ja …«

Keine zwanzig Minuten später knirscht der Kies unter unseren Reifen, den Robert auf der ganzen Hoffläche in einer dicken Schicht verteilt hat. Ich stelle den Motor ab und steige aus. Das erste, was ich rieche, sind Hühner. Ich kann Hühner nicht ausstehen. Weiß der Teufel, warum nicht. Robert taucht in der Tür des Stalls auf, kneift die Augen zusammen und legt einen beeindruckenden Spurt hin. Er fällt mir um den Hals und drückt mich gegen den Kommodore. »Einrisch! Endlich sehe ich dich mal wieder!« Bevor ich etwas erwidern kann, lässt er los und rennt ums Auto herum. »Wo ist der Besuch?!« Robert öffnet die Beifahrertür, sieht Claudia und weicht ein Stück zurück.
»Oh, une beauté allemagne! Magnifique! Bienvenue, Madame!«
Ich seufze. Die Haustür wird geöffnet und Jeanne tritt ins Freie, ein Handtuch in ihren Händen. Jeanne, eine herbe, raue Schönheit, mit braunem, windgegerbtem Gesicht. Sie belegt Robert mit einer Reihe französischer Flüche, wie mit einem Maschinengewehr gesprochen. Ich grinse über beide Ohren. Dann kommt sie her und haut Robert das Handtuch um die Ohren.
»Geh die Kühe melken, Clochard!«
Robert läuft augenzwinkernd an mir vorbei. »Bin gleich fertig, Eeinrisch!«
Jeanne stellt sich neben Claudia, lächelt sie entwaffnend an und umarmt sie. »Willkommen auf unserem Hof. Ich bin Jeanne. Und du bist?«
»Claudia.«
»Claudia … was für ein schöner Name. Kommt rein. Ich habe einen Milchkaffee für euch und einen reifen Camembert.«

Jeanne teilt den Käse in zwei Hälften, legt Baguettes dazu und stellt jedem eine Schale Milchkaffee vor die Nase. Sie setzt sich gegenüber. Die Tür zum Flur wird geöffnet und zwei Mädchen kommen in die Küche. Sie kichern, reden, sehen uns und bleiben wie angewurzelt stehen. Jeanne erklärte, wer wir sind und woher wir kommen. Claudia schlürft den Milchkaffee und blickt mich über den Schüsselrand hinweg an.
»Die beiden heißen Isabelle und Monique«, erkläre ich ihr.
»Sie machen sich fertig für die Schule. In zehn Minuten kommt der Schulbus und holt die Kinder von den Höfen hier draußen«, setzt Jeanne nach. Ich leere den Milchkaffee.
»Jeanne, ich muss ins Bett. Meine Batterien sind leer. Soll ich im Gästezimmer schlafen?«
»Oui, ja, leg dich ins Gästezimmer. Claudia und ich werden zurechtkommen.«
»Ist das okay, Claudia?«
»Mach dir um mich keine Sorgen, Heinrich.«
»Dann gute Nacht.«

Ich träume eine Menge wirres Zeug. Auf Französisch. Wo bin ich? Gefangen in zähem Morast, der mich nur ungern ins Aufwachen entlässt. Eine alte, ehemals weiß gekalkte Decke über mir, dunkle Holzbalken in regelmäßigen Abständen, und im Eck eine mittelgroße Spinne. Ich schrecke hoch. Wie ein Blitz bin ich aus dem Bett und stehe auf einem verblichenen Bettvorleger, das kleine Fenster mit dem brüchigen Windkreuz vor mir. Frankreich, Bretagne, in Roberts Gästezimmer und das nächste Mal werde ich im Auto übernachten. Ich sehe zu der Spinne, die sich von meinen Aktionen nicht beeindrucken lässt. Ich hasse Spinnen. Mehr noch als Hühner. Noch benommen ziehe ich Hose, Hemd und Pullover an und mache das Bett so, wie ich es vorgefunden habe; mit einem Auge auf der Spinne. Dann gehe ich die schmale Stiege runter.
Isabelle und Monique sitzen am großen Tisch in der Küche und schälen Kartoffeln. Ein kleiner Junge, fünf oder sechs vielleicht, bearbeitet mit einem Holzschraubendreher eine alte Lokomotive.
»Tschutschutschu«, kommt es aus seinem Mund.
»Salut, mes chères enfants.«
Erschrocken fährt der Kleine herum, sieht mich, krabbelt sofort unter dem Tisch durch und quetscht sich zwischen Isabelle und Monique auf die Bank. »Salut, Henry«, kommt es gleichzeitig aus dem Mund der beiden Mädchen. Ich setze mich vorsichtig auf einen alten Stuhl gegenüber den Kindern und grinse den Kleinen an. »Je suis Henry«, ich zeige auf mich. »Et toi?«
»Son nom est Bruno«, erklärt Isabelle.
»Bonjour, Bruno.«
Jeanne kommt summend in die Küche mit einem Korb voller Eier. Sie entdeckt mich. »Heinrich, du bist schon wach?«
»Ja. Lange genug geschlafen.«
Sie stellt sich hinter mich, drückt einen Kuss auf meine rechte Wange und legt ein Messer auf den Tisch. »Prima. Dann kannst du den Kindern helfen, die Kartoffeln schälen.«
»Gerne.« Ich greife eine der Kartoffeln und fange an.
»Claudia ist mit Robert in den Intermarché nach Quimper gefahren. Sie braucht hier unbedingt Gummistiefel und Ölzeug.«
»Stimmt. Daran habe ich nicht gedacht in Köln.«
»Er hat dein Auto genommen.«
Ich zucke mit den Schultern. »Kein Problem.« Jeanne stellt den Korb mit den Eiern auf den Tisch, eine große emaillierte Schüssel und eine Lage Zeitungen, setzt sich neben die Kinder, dann sieht sie mich mit festem Blick an.
»Heinrich … sag mir deine Intention. Warum hast du Claudia hergebracht?«
Ich beginne mit einer neue Kartoffel und lasse mir ein wenig Zeit. »Sie hat noch nichts erzählt?«
»Ich habe sie in Ruhe gelassen. Heute Vormittag hat sie mit Bruno gespielt. Er ist momentan unser einziges Sorgenkind hier. Robert hat Claudia den Hof gezeigt, dann hat sie noch ein paar Stunden geschlafen und nun sind sie einkaufen.«
Ich nicke. »Okay. Aufgegabelt habe ich sie in Köln auf einer Rheinbrücke. Sie war schon jenseits des Geländers. Ich habe sie mitgenommen, weil sie nicht zu sich wollte, nicht konnte. Von da war sie ja abgehauen. Bei mir in der Wohnung riss sie sich die Kleider runter und«, ich hebe die Hand auf Brusthöhe, »von hier bis zur Hüfte grün und blau. Keine Ahnung, was sonst noch alles war und wie lange das schon geht.«
Jeanne sieht mich weiterhin an. »Sie ist schwanger«, stellt sie fest.
»Ja. Hat sie mir gesagt. Anfang dritter Monat.«
Die nächste Kartoffel ist dran. »Jeanne, du schreibst mir bitte, ohne dass Robert es mitbekommt, eure Kontodaten auf. Ich werde einen Dauerauftrag anlegen über 1.000 Franc für Claudia. Ich nehme an, du führst nach wie vor die Finanzen?«
»Oui.«
»Sie kann nicht mehr zurück, und ich hätte gerne, dass sie hier bei euch bleibt. Claudia kann dir helfen mit den Kindern und auf dem Hof. Wenn 1.000 zu wenig sind, gib mir sofort Bescheid.«
»Wir werden auf sie aufpassen. Du hast mein Wort.«
Etwas bricht in mir entzwei. Schwer zu sagen, was es ist, aber ich lege das Messer auf den Tisch. Das Bild verwässert. Ich weine und weiß nicht, warum. Ich höre, wie Jeanne aufsteht, um den Tisch herum kommt und sich hinter mich stellt. »Herrje, Heinrich, bist du etwa verliebt?«

Am Abend sitzen wir alle um den großen Tisch. Es gibt Bratkartoffeln mit Gemüse-Omelette. Ich mustere jede einzelne Person am Tisch, während ich das herrliche Essen genieße. Die roten Backen der Kinder, das Lachen in ihren Augen, Roberts impulsive Art zu erzählen, Jeannes stilles, gütiges, aber beherrschendes Wesen und Claudia dazwischen. Wie eine Blume, die unter den erwachsenen Pflanzen nun endlich den Blütenkelch öffnet, um etwas vom neuen Licht einzufangen. Der Eindruck von Glück trifft ist schmerzhaft und erinnert mich an mein eigenes Alleinsein. Ich lege die Gabel weg und gehe vors Haus. Es ist kühl, die leichte Brise schmeckt salzig. Der Duft des Atlantiks. Nach ein paar Minuten taucht Claudia hinter mir auf. Sie lehnt sich an mich.
»Wirst du heute noch nach Köln fahren?«
»Mh. Nachts fährt es sich einfach.«
»Weißt du, dass du ein sehr guter Autofahrer bist? Bei dir ist es so was wie ein Dahingleiten. Heute mit Robert war es eher eine Art Tiefflug.«
Ich lache laut auf. »Ich weiß. Er ist durch und durch Franzose. Auch beim Autofahren.«
Claudias Arm legt sich um meine Hüfte. »Darf ich?«
»Gerne.«
»Du auch«, fordert sie mich auf. Ich halte sie fest, vorsichtig, das Bild ihrer Verletzungen vor Augen. »Ich bin dabei, mich in dich zu verlieben, Heinrich.«
»Ja, ich kann es spüren. Auch in mir.«
Sie schmiegt sich fest an.
»Aber ich will jetzt hier bleiben. Ist das in Ordnung?«
»Natürlich. Wir haben alle Zeit. Das Leben hier ist langsam.«
»Was heißt E-S-P-E-R-A-N-C-E?«
Ich drehe mich und folge ihrem Blick. Über Roberts Haustür ist eine gebogene Holztafel angebracht, in die jemand ‚Espérance‘ geritzt hat.
»Hoffnung.«

Diese Geschichte

Entstanden im Jahr 1996, enthält sie reale Elemente, ist aber im Ganzen fiktiv gehalten. Gerade hier gilt: Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig. Inzwischen habe ich den Text mehrfach überarbeitet. Vor allem in die Gegenwart geholt. Ich finde, der Kontakt zu den Leser:Innen ist auf diese Art intensiver.

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