Über das Schreiben

Warum ich schreibe? Ich schreibe, um existieren zu können. Und ich möchte existieren können.

Was ich schreibe, ist mit wenigen Worten umrissen: Lyrische Kurzprosa, Kurzgeschichten, Romane und – bisher einmalig – eine Dokumentation. Als Nebenprodukt fallen immer wieder Blogbeiträge über gesellschaftlich relevante Themen aus der Tastatur, etwa zu Fleischproduktion, Landwirtschaft oder auch Nationalsozialismus/Rassismus. Diese eher sachlichen Themen haben mit meinem ehemaligen Beruf bzw. der Familiengeschichte zu tun.

Nun bin ich schon 60 Jahre alt. Ich muss die Zahl noch ein paar Mal angucken, um es zu verinnerlichen. Schrecklich. Aber sie verdeutlicht auch, dass ich schon seit 47 Jahren schreibe. Mit 13 habe ich angefangen. Der Einstieg ins Schreiben entsprach meinem damaligen Größenwahn (Pubertät und so) und mündete direkt in einen ersten Roman, den ich einige Wochen später in den Mülleimer beförderte (meine Mutter grub ihn wieder aus). Das Ganze passierte auf einer Triumph Adler, die ich von einer Büroauflösung abgriff. Einen Roman auf einer Schreibmaschine zu tippen, kann Eltern in den Wahnsinn treiben, weswegen ich mich früh um eine schallschluckende Ausstattung bemühte. Nach dem Roman folgten Kurzgeschichten, die ich noch warm aus dem Schlitten der Triumph zog und direkt meinem Deutschlehrer überreichte. Zwar gab ich bei Deutscharbeiten ein leeres Blatt ab, aber bekam trotzdem ein ‚befriedigend‘ im Zeugnis aufgrund meiner Kurzgeschichten (Danke, Herr Pütz!).

Überleben

Wenn es um die Frage geht, warum ich schreibe (steht auch oben im Ziel), kann ich nur sagen: Lest die Texte. Schreiben sichert meine Existenz. Mein emotionales Überleben. Schreibe ich länger als zwei Wochen nicht, gerät mein fragiles Gleichgewicht aus den Fugen. Dabei ist es zwar egal, was ich schreibe im belletristischen Bereich (ich rede nicht von Dokumentationen oder anderen sachlichen Texten), aber meine Stimmung gibt mir vor, welcher Art von Text ich mich widme. Bin ich eine Magmakammer Sekunden vor dem Ausbruch, muss ich Lyrik verfassen; dann kann schon sein, dass ich zehn oder fünfzehn Stück raushaue. Lyrik schreiben ist ein Dampfdruckventil. Beschäftigt mich hingegen etwas grundlegend, dann kann eine Kurzgeschichte draus werden, eine zusammenhängende Serie von Kurzgeschichten – oder ein Roman. Immer wieder werde ich gefragt, ob Autobiographisches in meinen Texten steckt. Die Antwort ist eindeutig: Ja, tut es. Grundsätzlich finden sich bei den meisten Autor:innen autobiographische Elemente oder Charaktere, denen sie begegnet sind (würde ich tippen). Das ist normal. Das Rad muss man nicht immer neu erfinden. In meinen Texten ist es noch etwas mehr als das. Dabei geht es dann um die Distanz zur Erinnerung. Schreiben schafft Distanz zur Erinnerung – und dient so dem Überleben. Es ist der Dialog mit sich selbst und Vorkommnissen, die man in ganz jungen oder nicht mehr so jungen Jahren nicht auflösen konnte, nicht gegen null rechnen. Mit 13 war es der einzige Strohhalm, der im Teich des Lebens zu finden war, um unter Wasser atmen zu können. Und diesen Strohhalm habe ich im Laufe der Jahre zu einer Atemanlage ausgebaut.

Vorbilder?

Was uns zur Frage nach den Veränderungen im Stil, den Routinen oder der Motivation führt. Zunächst aber die Basis der Ausdrucksmöglichkeiten. Gibt es Schiftsteller:innen, die mich mit ihren Worten erreichten? Die mir das ein oder andere Mal ein physisches Überleben sicherten? Zweifelsfrei gibt es die. Schon früh habe ich begonnen mit Hemingway, Steinbeck, Aitmatow, Upton Sinclair, Camus, Kerouac, Bukowski, Kenzaburo Oe und im Laufe der Jahre kommen Hertha Müller und auch Murakami dazu. Der gemeinsame Nenner dieser Autor:innen ist das Existenzielle. Es geht meist um alles, in nicht wenigen Fällen ums Überleben. Ums physische und/oder psychische Überleben. Und natürlich wollte ich so schreiben. Um meinen heutigen Stil zu erreichen (von dem ich denke, dass ich ihn seit vier oder fünf Jahren begonnen habe und nun ausbaue), mussten Jahrzehnte vergehen. Diese vielen Jahre des Unzufriedenseins mit dem eigenen Schreiben waren furchtbar. Ewige Zweifel. Versagen. Du bist nichts. Oder noch weniger. Und doch habe ich nie aufgehört. Im Gegenteil: was ich noch alles schreiben will, passt nicht mehr in den Rest meiner Jahre auf diesem Planeten. Und ich schreibe anders als die genannten Autoren. Ich bin nicht mehr unzufrieden, mit meinem Stil. Er ist mein eigener geworden.

Routinen

Genau dabei hilft die Routine. Dabei ist es nicht die Routine beim Tippen oder die richtige Tastatur (sehr schwer zu finden), ein besonderes Licht oder Musik oder was auch immer: es ist die Routine mit sich selbst. An manchen Tagen weiß ich, heute geht nicht viel und ich muss es nicht über den Zaun brechen, sonst leidet die Qualität. An anderen Tagen wache ich um 4:30 Uhr auf und muss sofort aufstehen. An solchen Tagen schaffe ich 30 DIN A4-Seiten oder mehr. Ich muss meine emotionalen Zustände akzeptieren und nicht gegen sie arbeiten (heute weiß ich, dass ich seit langem krank bin und habe die Diagnosen, ich kann es benennen). Ist alles gut, lege ich einen Schalter um und fange an zu schreiben. Egal wann, egal wo, da gibt es auch keine Hürden oder Herausforderungen. Und was ich gerne mal schreiben würde? Genau das, was ich schreibe. Es gibt Werkzeuge, derer man sich bedienen muss. Das ist die exakte und möglichst gründliche Recherche. Etwa für meinen Roman INSEL 64. Da habe ich zu den technischen Dingen entsprechende Fachleute angerufen und meinen Fragenkatalog abgearbeitet. Ich lasse mir vom PC die Texte vorlesen, so erkenne ich viel mehr die nicht so guten Passagen, zu viel Personalpronomen, Wortwiederholungen, denn man ist sich selbst gegenüber immer betriebsblind.

Wenn es nur irgendwie geht, mache ich Lesungen, auch so sehe ich die Wirkung der Worte und höre mir selbst zu. Ich trainiere dafür das Vorlesen, was ganz besonders wichtig ist. Und eine gute Lesung ist immer ein Motivationsschub fürs Schreiben. Würde ich nicht schreiben, wäre ich nicht mehr auf diesem Planeten. Das muss ich so klar formulieren.

Ich kann nur empfehlen, es mit dem Schreiben zu versuchen. Oder der Malerei, Bildhauerei, der Musik, was auch immer die Kreativität für Ausdrucksformen wählt. Ich schätze, Kunst ist unsere wahre Natur. Und die ist friedlich.

Euer Heiko

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