In der Rubrik ‚Was kann ich tun?‘ werde ich als erstes Thema den Fleischkonsum ansprechen und inwieweit er – aus meiner Sicht – ein Gradmesser für unsere Unvernunft in Sachen menschengemachter Klimawandel ist. Ein paar Fragen an den Autor:
Bin ich mit Fleisch aufgewachsen?
Klar. Als 58jähriger sogenannter Boomer des geburtenreichsten Jahrgangs (1964) überhaupt, kenne ich Fleisch zur Genüge. Zwar waren wir ziemlich arm, aber bei Oma/Opa gab es Sonntagsbraten, ab und an mal ein Lyonerbrötchen oder ein Leberkäsweck. Im Schwimmbad ein Wienerwürstchen (oder Saitenwürstchen, wie man bei uns sagte) mit Senf, die Currywurst zum Ausflug, mit Papa abends mal ein Wiener Schnitzel. Als Kind hatte ich keine Ahnung, woher das Fleisch kam. Es war einfach da. Später ging es uns wirtschaftlich besser, Ende der 70er. Grillen war angesagt. Das Kotelett! Wer schafft die meisten Koteletts? Fleisch war der Beweis, dass man zur Mittelklasse gehörte, sich was leisten konnte. Und das Rindersteak kam auf. Steakhäuser, T-Bone, Steaksoßen. Fleisch war überall. Im Fernsehen (Werbespot: Ein Stück Lebenskraft!), in der Kinowerbung. Und plötzlich war da McDonalds! Endlose Fleischberge! Gemüse? Wurde so lange gekocht, bis nur Mus übrig war. Salate? Gib es den Hasen! Zum Geburtstag ein Spanferkel auf den Spieß. Warum nicht? Kostet ja nichts. Wir waren gedankenlos. Selbstvergessen. Hat uns jemand auf die Probleme hingewiesen? Ja, natürlich. Der tägliche Blick in den Spiegel. Aber offiziell? Nein.
Kamen mir nie Zweifel?
Doch. Die wuchsen mit dem Beginn meiner Ausbildung zum Landwirt im Jahr 1982. Es hat ein paar Monate gedauert, bis dieser Beruf einen Weg in mein Herz fand (Arbeit ohne Ende für 185 DM monatlich im 1. Lehrjahr). Doch er hatte mich bald gepackt. Für mich nach wie vor der schönste Beruf auf dem Planeten. Aber nicht unter den aktuellen Bedingungen (dazu werde ich noch einen Beitrag schreiben). In der ersten Arbeitswoche musste ich zum ersten Mal quer durch einen Schlachthof gehen, die Quittung holen für das abgelieferte Schlachtvieh. Und das dann jeden Freitag. Der Geruch des Fleisches im Schlachthof ging mir nicht mehr aus der Nase. Daraufhin konnte ich ein paar Wochen weder Fleisch noch Wurst essen. Damals war es für mich nicht der Tod an sich, es war die Art des Tötens – oder des Betäubens – denn die Tiere müssen ja noch ausbluten. Wenn das Herz noch pumpt – am besten mit Todesangst – geht es schneller. Die nächsten Fragezeichen entstanden bei der Haltungsart. Spaltenboden, Dunkelstall (3 x 30 Minuten Licht im Stall, um zu fressen, danach wieder Nacht > wer schläft, wird schnell fett), Kraftfutter (Soja), Antibiotika in Mengen und andere Medikamente (Ferkelgrippe; prophylaktisch), einen halben Quadratmeter pro Tier, zehn in einer Box (5,4 qm), Kannibalismus, Herzstillstand, eine genaue Planung bis zum Schlachtgewicht (um die 95 Kilogramm), ein Leben, das auf 132 Tage berechnet war. Einheitsleben. Doch seltsamerweise waren die Schweine nicht einheitlich, besaßen unterschiedliche Charaktere, waren neugierig, lernfähig. Und doch existierten sie nur für den Teller. Sie taten mir leid. Zweifellos. Und was bekam der Bauer? Wenn ich mich recht erinnere, kamen 1982 ca. 40% des Verkaufspreises beim Landwirt an. Was kostete damals 1 kg Schweinefleisch (je nach Fleischart)? Um die 11 Mark. Demgegenüber stehen Wartung, Reparatur und Betriebsmittel der eingesetzten Maschinen im Futteranbau, der Kauf von Saatgut, Spritzmittel, Dünger, der Zukauf von Kraftfutter (Soja), Medikamente, Wasser, die Betriebskosten eines Stalles (Schieberanlage, Strom), die Beseitigung der Gülle (Großbehälter, Wartung, Pumpen und Tankwagen) und ganz am Ende soll noch Geld übrigbleiben für Essen und Leben der Bauernfamilie, mal abgesehen von Steuern, Versicherungen etc. Und alles bei 12 Stunden Arbeit am Tag. Und auch sonntags geht es in den Stall. Da kamen mir erhebliche Zweifel am ganzen System.
Zweifel weg? Habe ich mich daran gewöhnt?
Ja. Auch das ist passiert. Ich habe mich daran gewöhnt. Mich in diesem Alltag eingerichtet. Und wieder Fleisch gegessen. Der erste Schock war vorüber. Im zweiten Lehrjahr ging es tiermäßig beschaulicher zu, nur ein paar Schweine. Der Schwerpunkt lag auf der Milchproduktion (das ist ein eigenes Thema mit ebenso hirnrissigen Rahmenbedingungen) und dem Tabakanbau. Grundsätzlich war ich auf der Seite der Bauern und habe deren Argumentation übernommen. Immer mehr schleppten sich in die Insolvenz, gaben auf, verpachteten ihr Land an große und größer werdende Betriebe. Die Struktur der bäuerlichen Kleinfamilien/Kleinbetriebe löste sich in Luft auf. Und die ersten Opfer waren die Tiere. Doch klar ist auch: Die Menschen wollen Fleisch! Denn Fleisch ist ein Symbol des Aufstiegs. Individuell wie gesellschaftlich. Und der Mauerfall brachte den westdeutschen Großbetrieben genau das, was sie benötigten: große, endlose Flächen zum Futteranbau (Mecklenburg-Vorpommern). Mehr und mehr Schlacht- und Vermarktungsbetriebe kumulierten zu immer größeren, machtvollen Konzernen. Das Fleisch war nur noch ein abstraktes Produkt. Da steht ein lebendes Tier dahinter? Braucht ja niemand wissen. Mastbetriebe mit 10.000 Schweinen? Kein Problem. Zweistöckig? Kein Problem. Irgendwo im Hinterland stehen die Fabriken. Die Menschen sehen nur noch die tollen Prospekte der Werbedesigner. Wenn sie Tiere sehen wollen (um ihren Kindern mal zu zeigen, dass es so was noch gibt), machen sie Urlaub auf dem Bauernhof (bei den wenigen Bauern, die eine Insolvenz durch Umwandlung in einen Ferienhof schafften) oder sehen sich eine Fernsehserie an. Nutztiere sind nicht mehr existent im Alltag der Gesellschaft. Alle Verbindungen zu Leben, Würde, Wert und Nutzen der Tiere sind verschwunden.
Habe ich gesehen, was kommt?
Ja, habe ich. Und auch all meinen Kumpels erzählt. Die Automatikschieber haben den Kot ins Freie geschoben. In einen 750 m³ großen Behälter. Versenkt im Boden. Lediglich eine meterhohe Betonbrüstung ragte hervor. Kam viel Gülle oder war der Abtransport ausgesetzt, wurde umgepumpt in einen zweiten, ebenso großen Behälter. Ist klar, dass es nicht lange dauerte, bis die Kapazität an die Grenze kam. Also wohin damit? So lernte ich mit Anhänger rückwärts fahren, indem ich das 10.000-Liter-Pumpfaß per Schlepper rückwärts an die Zapfstelle drückte, per Pumpe füllte, um dann die Gülle auf dem Acker auszubringen. Den ganzen Tag. Und auch noch den Folgetag. Und war viel drin, auch noch zwei Tage weiter. Bei Sonnenschein, Regen, Nebel, im Schnee, Sommer, Herbst, Winter. Eines Tages entdecke ich im Entwässerungsgraben nach einem Regen Berge von Schaum. Ich fragte, was das sei. Eiweiße bilden Schaum, hörte ich. Eiweißhaltiges Futter, dann Tenside, weil mit Hochdruckreiniger und Reinigungsmitteln Stallboxen gereinigt werden, Desinfektionsmittel, all das landet auch im Güllebehälter – und damit auf dem Feld. Und dann das Ammoniak, also Nitrate. Im Winter braucht es keine Düngung, weil a) keine Pflanzen wächst und b) die Bodenorganismen ihre Tätigkeiten so gut wie eingestellt haben. Also gelangen die Nitrate ohne Halt ins Grundwasser – ein mehr oder weniger langer Weg. Ich wurde immer hellhöriger. Aber nicht nur Nitrate. Antibiotika und andere Medikamente ebenso. Mir wurde bewusst, dass die Menschen das Wasser ja trinken. Aber auch die Spritzmittel, die ich vor der Maisaussaat auf den Boden gebracht habe (bei Regen ist es schnell im Grundwasser), Halmverkürzer wie Cycocel im Getreidebau, Lindan (was heute in der EU verboten ist, aber woanders problemlos verwendet wird), Pyrethroide, Phosphorsäureester (Metasystox R), Roundup, gebeiztes Saatgut (mit einem Insektizidpulver ummantelte Körner) und noch Unmengen mehr. Zur (Massen)Produktion von Fleisch auf begrenztem Raum, müssen wir uns eines enormen Arsenals an giftigen, hochgiftigen, krebserregenden Chemikalien bedienen, die wir niemals in unserem Haushalt unter die Spüle stellen würden. Aber ohne sie hätten wir diesen Prozess nicht im Griff. Wir schaffen ein Meer an Ursachen, Auslösern und sind uns der Konsequenzen nicht bewusst.
Wie lange war ich abhängig?
Zu lange. Aber denken wir erst mal an den Dorfmetzger. Ein Nebenerwerbsbauer lässt eines seiner drei Schweine (das richtig alt wird) schlachten, verkauft etwas vom Fleisch, pökelt Schinken, macht Wurst in Darm und Dosen, friert Braten ein (nicht zu lange, weil Schweinefleisch zerfällt). Seine Familie lebt davon. Sagen wir ein halbes Jahr. Der Metzger bekommt zwar Geld, aber ebenso Naturalien. Und die Reste werden bei einem Abend mit Kesselfleisch in der Nachbarschaft verdrückt. Aus Knochen, Sehnen und Fett macht Oma Seife. Vom Schwein bleibt nichts übrig. Es wog um die 160 kg und lebte vielleicht zwei Jahre. Könnte man auf diese Weise den modernen Fleischhunger im Dorf decken? Keinesfalls. Weder im Dorf noch anderswo. Soll es in einem 1.000-Einwohner-Dorf (350 Haushalte) also wieder 30 Haushalte mit Schweinen, Gänsen, Schafen, Hühnern und Hasen geben? Die Beschwerden über Geruchs- und Lärmbelästigung wären endlos. Mal abgesehen von den modernen Hygienebestimmungen, die einer kleinbäuerlichen Familie die Haltung immens verteuern würde. Nein, die Zeiten sind endgültig vorbei und sie kommen auch nicht wieder. Sowohl das eine (Produktion) als auch das andere (Zerlegung/Verwertung) müssen in unserer aktuellen Lebenswelt zentralisiert werden. Weit weg von denjenigen, die sich beschweren können über Geruch und Lärm. Und damit gerät das Ganze aus der Sicht – und aus dem Sinn. Die indirekten Folgen erkennen wir offenbar nicht als zur Massentierhaltung kausal.
Zurück zu mir. Ich bin von der Landwirtschaft schon lange abgekommen. In der Zeit danach musste ich natürlich woanders arbeiten. Was lag da näher als der Schlachthof. Für mich war dieser Job der zweite Nagel auf den Sarg, ‚Fleischesser‘ genannt. Der Umgang mit Tieren, Menschen und sich selbst war dermaßen erniedrigend, dass ich es nicht lange aushielt. Zum zweiten Mal wurde ich Vegetarier. Länger dieses Mal. Und doch erfolgte wieder ein langsamer Einstieg, etwa über die Ausrede ‚Biofleisch‘, das damals aufkam. Die Label ‚Bio‘ und ‚Öko‘ fanden sich nach und nach auf immer mehr Prospekten und Produkten. Aber der Preis … das Kilo Schwein etwa 30% mehr, bei Rind um die 50% mehr. Ist das realistisch?, fragte ich mich. Wie müssen sich die Produktionsbedingungen ändern? Massiv. Bei in unseren Breiten wachsendem Futter – ohne Kraftfuttergabe – ist die Zeit bis zum Schlachtgewicht deutlich erhöht, also längere Stallzeiten, mehr Arbeitszeit, höhere Futterkosten, mehr Wasser usw. usf. Wenn ich alles einpreise, sollte ich das Kilo deutlich über 30 € verkaufen, und je höherwertiger das Stück, etwa Lende, noch mal einen Sprung teurer. Und in der Tat gab es Landwirte mit Direktvermarktung, lokaler Schlachtung, die zu diesem Preis verkauften. Aber würde diese Mindermenge den Bedarf decken? Das kann sie nicht. Etwa Weidehaltung. Weidehaltung bei Schweinen? Also lassen wir Schweinefleisch ganz weg und essen nur Rindfleisch bzw. Schafe. Bei aktuellem Fleischkonsum müssten wir Gebiete dazukaufen, um die entsprechende Menge Weiden zu haben (die sich ja auch wieder erholen müssen), mal abgesehen von der Wasserversorgung der Tiere.
Ab wann wurde aus Erkenntnis Konsequenz?
Schwer zu sagen. Mir wurde immer mehr bewusst, dass meine Ausbildungs- und Gesellenbetriebe den größten Anteil ihrer Flächen für den Futterbau verwenden mussten. Und das Geld war immer knapp, abhängig von Preisen an fernen Warenterminbörsen (Chicago), also ein völlig enthemmtes System, das mit Nachfrage und Angebot im Dorf nebenan überhaupt nichts mehr zu tun hat. 70 oder 80 Stunden-Wochen, keinen Urlaub, hohe Kredite, permanenter und massiver Einsatz von Insektiziden, Herbiziden, Fungiziden, Desinfektionsmitteln, Antibiotika, Kauf von Ein-Mann-Maschinen (damals 1.000 DM pro PS) sowie schwerem Gerät (Eggen mit 11 Meter Arbeitsbreite, 5-Schar-Volldrehpflüge, Kreiseleggen mit Saatkombination und und und …), das alles für ein paar Mark pro Kilo Fleisch? Das Bauernsterben kam nicht von ungefähr. Sechzig Prozent der Ackerfläche für Mastvieh. Und dazu das benötigte Wasser (Bewässerung). Und der Preis wird mir diktiert? Nimm das, oder stirb. Einige wenige (Fleischkonzerne, landwirtschaftliche Großbetriebe und Kontext-Industrie) zerstören die Grundlagen aller. Ist den Menschen beim Grillabend bewusst, dass die Krume mancherorts nur 5 cm beträgt? Die Krume, in der das Bodenleben stattfindet. Felder, die 30 oder 40 ha groß sind und auf denen in Monokultur Mais wächst, sind Felder, auf denen der Wind die Krume wegnimmt, jeder heftige Regen alles wegspült. Das Wertvollste am Boden verschwindet. Für Viehfutter? Für Fleisch? Fleischesser haben also auf jeder Gabel ein Stück Zukunft. Direkt und unmittelbar. Ich musste mir eines Tages eingestehen, dass ich mich anlüge. Und meine Kinder ebenso. Schlimmer noch: dass ich meinen Kindern die Zukunft wegfresse. In der Tat, die Kinder waren am Ende der letzte Schubs zum fleischlosen Essen. Ein langer Weg.
Der Tsunami wird ausgelöst
Wie jede Rechnung, muss auch diese bezahlt werden. Den Unterschied macht die Anzahl der Zahlenden. Wir alle sind es. Den grundlegenden Wechselwirkungen und Kausalitäten kann sich auch die Fleischindustrie nicht entziehen. ‚Viel braucht viel und macht viel‘ ist eine der Regeln. Wenn Fleischproduktion nicht nur in der Menge ansteigt sondern die Produktion von dezentral auf zentral umschwenkt (Ertrags- und Gewinnmaximierung), dann geraten lokale und überregionale Systeme aus dem Gleichgewicht. Um die Massenproduktion ertragreich exerzieren zu können, muss sie zerstörerische Parameter schaffen. Ein besonders wichtiger Umstand steht zweifellos gegen die Massenproduktion: Der Bauer ist alleine. Wie soll er das mit seiner Arbeitskraft packen? Alle Landknechte, Arbeiter oder temporären Kräfte wohnen in der Stadt, arbeiten in Fabriken, im Gewerbe. Eine Folge der Industrialisierung. Sie hat die Arbeitskräfte wie ein Sog der Landwirtschaft entzogen. Und selbst, wenn es sie gäbe, könnte der Bauer sie nicht mehr bezahlen, denn die jetzigen Industriearbeiter verdienen nicht so viel, als dass sie für viel Geld Fleisch und Wurst kaufen können, was sie ja angeblich brauchen, denn die Werbung sagt: Fleisch ist ein Stück Lebenskraft. Obwohl vor dem Zweiten Weltkrieg die Versorgung mit Fleisch noch wesentlich eingeschränkter war und die Menschen ebenso gut Arbeit verrichten konnten, wenn sie nur am Sonntag einen Braten bekamen, erzählte man ihnen im Aufschwung der Nachkriegszeit, dass Fleisch nicht nur Lebensstandard ist, nein, es ist unabdingbar, um am Leben zu bleiben. Fleisch wurde zur Droge, mit allem ökonomischem Kontext, der dazu gehört.
Was passiert und wie reden wir uns raus?
Sklavenhaltung | Arbeitsbedingungen, soziale Absicherung, Lohn. Alle drei Komponenten sollen darauf ausgerichtet sein, dem Einzelnen, der Einzelnen, ihre Würde nicht zu nehmen. Ob als rumänischer Arbeiter im Schlachthof, an der polnischen Grenze geworbene Ukrainerinnen oder Pflegekräfte. Aber alle drei Komponenten stehen einem maximalen Gewinn entgegen. Die landwirtschaftlichen Familienbetriebe sind in der Massenfleischproduktion so gut wie subtrahiert. Zentralisierte Produktions- und Verwertungsstätten sind maximal effizient. Man kann an Maschinen sparen (durch Konkurrenzprodukte), aber zu häufige Wartungsarbeiten kosten Geld. Also nehmen wir lieber gute Fließbänder, gute Kettensägen, gutes Material. Wo kann man noch sparen? An der Verpackung bis zu einem gewissen Grad. Bei der Nutzung von nicht ganz so gutem Fleisch (in Separatoren wird daraus allemal Wurst), aber am allermeisten beim Menschen. Es werden sich immer irgendwo welche finden, die für noch weniger Geld den Job erledigen. Und selbst bei Mindestlohn kann ich das Geld wieder reinholen, indem ich Kosten & Logis abrechne in Wohnheimen, beim Transport oder sonst wo. Die einfache Formel: wie du mit dem Menschen umspringst, so tust du es auch mit Tieren (oder umgekehrt), hat nach wie vor Gültigkeit. Der Wert einer Arbeitskraft, der Wert eines Tieres, beides muss so eingepreist werden, dass es maximalen Gewinn gibt. Mein erster Lehrbetrieb konnte sich über Wasser halten, weil wir VIELE Schweine in kurzer Zeit durchschleusten und hohe Arbeitszeiten aufwendeten für wenig Bezahlung. Niemand durfte krank werden für das Kotelett auf dem Teller, das Kilo zu 7,50 DM. Unter miesen Arbeitsbedingungen am besten so wenig wie möglich verdienen und das ohne krank zu werden.
Futterbedarf gestiegen | Die benötigte Futtermenge ist ab einer Mastviehanzahl x nicht mehr durch lokale Flächen zu gewährleisten und die Zusammensetzung muss bei nur 132 Tagen Wachstumszeit bis zur Schlachtreife optimiert werden durch Kraftfutter, also Eiweiß, Eiweiß, Eiweiß. Und dafür ist Soja mit seinen 30% Eiweiß hervorragend geeignet. Aber woher kommt Soja? Direkt von den gerodeten Regenwaldflächen in Lateinamerika. Die Wetter- und Sauerstoffmaschine Regenwald ist ein Opfer in der Opferkette an dessen Ende wir hängen. An jeder Gabel Fleisch hängt ein Stück Regenwald. Was sonst an Futtermitteln anfällt (etwa Weizen, Mais, Roggen aber auch Rübenschnitzel), wird nicht auf kleinen Parzellen wachsen, die 3 ar klein sind (1 ar = 100 qm) und durch Hecken gegeneinander abgegrenzt, um Wind und Regen abzuhalten. Unser größter Acker war 16 Hektar groß (160.000 qm), zur Hälfte am Hang, was bei Zuckerrüben bedeutete, dass ein heftiger Regen Rüben und Krume den Abhang hinunterspülte, da keine Hecken mehr das Unheil aufhalten konnten. Aber die sogenannte ‚Schlagleistung‘ für einen Einzelnen auf einem entsprechend großen Schlepper mit entsprechend großem Anbaugerät war dafür hoch. Für identische Menge Arbeit (bspw. Rüben vereinzeln) hätten wir 50 Personen für einen Tag einsetzen und bezahlen müssen. Der Fleischpreis wäre in die Höhe geschnellt. Die Einpreisung der Spätfolgen und Schäden beginnt jetzt langsam, etwa durch Erhöhung der Trinkwasserpreise in den Kommunen, die Unwirksamkeit von Antibiotika und Todesfällen durch Multiresistente Keime.
Wasserbedarf gestiegen | Wasser folgt einem Kreislauf. Wird diesem Kreislauf an einer Stelle mehr entnommen als woanders zugeführt, unterbricht er. Das Wasser ist nicht verloren, steht aber an der benötigten Stelle nicht mehr zur Verfügung. Eine Mastfabrik mit tausenden von Tieren benötigt ein Vielfaches von dem, was lokal für die Balance aus Entnahme und Eintrag gut wäre. Die Folge ist einfach: der Grundwasserspiegel nimmt ab. Je nach Beschaffenheit von oberem Boden und tiefen Schichten, kann es Jahre dauern, bis Wasser in den tiefen Speichern ankommt und sie wieder füllt. Aber nur, wenn wir mitteleuropäische Regenfälle wie vor 50 Jahren hätten. Haben wir aber nicht mehr. Was dem Fleischbetrieb völlig egal ist. Er bohrt tiefer oder lässt bohren durch Kommune oder Landkreis (und das oftmals für einen günstigeren Mengenrabatt im Wasserpreis). Er kauft zu, so dass sich der Wirkungskreis des Ungleichgewichts ausweitet. Auf der anderen Seite haben wir die Produktion der Futtermittel. Trocknen die Flächen langsam aus, muss immer mehr und immer öfter bewässert werden. Daran sollte jeder denken, wenn er ein Stück Fleisch isst. Und vielleicht daran, dass er dann der erste ist, der nach Staat und Gerechtigkeit schreit, wenn Trinkwasser kontingentiert wird. Und das wird kommen. Zweifelsfrei.
Bodenqualität sinkt | Oder besser gesagt: der Boden verschwindet. Die Altvorderen haben sich durchaus was dabei gedacht, eine Drei-Felder-Wirtschaft einzuführen. Regeneration ist das Zauberwort. Wir alle tun das. Dem Boden erlauben wir es nicht, obwohl Milliarden Lebewesen in einem Quadratmeter für uns arbeiten, um Nährstoffe umzusetzen und pflanzenverfügbar zu machen. Der Massentierhaltung – am Ende dem Stück Fleisch auf der Gabel – ist das egal. Wir düngen. Was unten nicht mehr drin ist, muss von oben zugeführt werden. Und gekauft natürlich, von Syngenta, Bayer, BASF, was wiederum eingepreist werden muss – bei den Landwirten, nicht bei den Fleischbetrieben. Ist der eigene Boden kaputt oder sinkt seine Kraft, gehen wir woandershin. Anderes Land, anderer Kontinent. Klar, Boden entsteht wieder. Aus den Alpen wird wieder guter Boden und dank Tektonik verschwindet auf der einen Seite das Alte, um auf der anderen Seite wieder aufzusteigen. Ein Prozess von Jahrmillionen und somit außerhalb unserer Lebens- und Reaktionszeit.
Antibiotika ist eine stumpfe Waffe | Eine der wirklich besten Entdeckungen der Menschheit, ist die giftige Wirkung von Pilzen auf Bakterien. Bakterien, die uns jahrtausendelang das Leben schwer gemacht haben. Wir schmeißen ihre Hilfe ins Klo. Massenverwendung in Massentierhaltung. Welch Ironie. Das eine versaut Boden und Wasser, klaut unsere Lebensgrundlagen, das andere nimmt uns dann noch die Fähigkeit, Krankheiten im Griff zu haben. Dümmer kann man nicht handeln. Theoretisch könnte man gleich die Gabel in einen Dreckhaufen stecken und dann in den Oberschenkel rammen. Über Umwege tun wir das ja. Dabei sind es ja nicht nur Antibiotika von denen uns nur noch zwei oder drei Reserve-Antibiotika bleiben für besonders heikle Fälle – die auch noch zunehmen. Das heutige Schwein entspricht ja nicht mehr seinem Urahn. Gezielte Züchtung hat den Fettanteil (weniger durchblutet als Muskelfleisch) gegen Muskelfleisch getauscht. Eine identische Menge Blut (genetisch festgelegt) muss nun eine erheblich vergrößerte Masse versorgen. Das Schweineherz muss wesentlich mehr arbeiten, schneller schlagen, um das zu schaffen. Das geht nicht lange gut. Wir hatten in unserem Stall jede Woche Tiere, die verendeten oder blau anliefen und dann Beta-Blocker bekamen. In 5,4 qm mit 9 Kollegen, das macht permanent Stress. Kreislaufkollaps.
Ich esse nur noch einmal Fleisch pro Woche oder kaufe wenig Wurst | Aha. Und das Wenige wird dann wie produziert? Aus der produzierten Massenware werden 100 g Lyoner in Scheiben verkauft, die dir 3 Tage reichen, was dir das Gefühl gibt, es würde jetzt weniger Fleisch und Wurst produziert? Die Rolle Lyoner, von der du zehn Scheiben bekommst, IST dann schon produziert. Wie viele Menschen müssen zusammenkommen, um zehn Rollen Lyoner weniger zu produzieren? Eine ganze Menge. Aber: bist du dir sicher, dass – bei Reduzierung der Lyonerproduktion – nicht stattdessen die Salamiproduktion steigt, die dann eben exportiert wird? Wir haben ja schließlich einen globalisierten Markt. Ich esse weniger ist eine Selbstlüge. In der Tat wird schon weniger Fleisch und Wurst gegessen (auf dem deutschen Markt), deswegen wird aber nicht wesentlich weniger produziert, denn Export bringen ebenso Umsatz und Gewinn.
Kann ich nicht Jäger werden? | Jagd – lassen wir mal alle Ideologie beiseite – erlegt Tiere, die im jeweiligen Revier zu viel sind (oder krank). Ein bestimmtes Areal (Wald, Feld, Wiese), kann nur eine bestimmte Anzahl Tiere versorgen. Natürliche Feinde (Wolf, Luchs) gibt es nur in so geringer Anzahl, dass sie für die Regulierung unbedeutend sind. Jagdpacht sollte also den Bestand im Gleichgewicht halten (das was Raubtiere taten). Ich rede also nicht von Freizeitjägern, die mit dem Range Rover vorfahren, gelangweilt rumballern oder im Serengeti den Fuß auf ein totes Nashorn stellen (die sind menschlich sowieso unten durch). Ich rede von einem Jäger, der eine Jagdpacht hat (und für Schaden geradestehen muss), gerufen wird, wenn Schonungen angefressen werden, dem Bauer der Maisacker verwüstet wird, also eine regulierende Wirkung hat – ohne gleich Massenmord zu begehen. Der aber auch niemals den Fleischbedarf der Bevölkerung decken kann. Wenn man vorbestellt, bekommt man mal ein paar Kilo Wildschwein oder Reh. Der momentane Fleischhunger ist damit nicht zu decken. Deswegen ist Jäger werden und Waffe kaufen völlig unsinnig.
Ich steige um auf Lupinen-Bratwürste | Prinzipiell sind wir jetzt bei einem der kausalen Folgeprobleme. Je mehr Menschen kein Fleisch essen, desto mehr Anbaufläche steht wieder zur Verfügung. Bepflanzt man diese Fläche bspw. mit Lupinen, inklusive aller nötigen Mittel wie Dünger, Spritzmittel, Wasser und formt in einem technischen Prozess unter Zuhilfenahme von Wasser und Energie Lupinenbratwürste, dann sind wir genau so nass wie zuvor. Dann haben wir eine Masse durch die andere ersetzt – auf demselben Acker, der immer noch stirbt; ungeachtet dessen, ob auf gleicher Fläche auch die identische Masse an Fleisch bzw. Lupinenbratwurst erzeugt werden kann. Auf diesen Bio-Vegan-Zug in den Prospekten springen viele auf und machen auf einem anderen Gleis einfach weiter wie bisher. Mal abgesehen von der Verpackungswut (6 Lupinenwürstchen schön in Plastik eingeschweißt). Eine weitere Selbstlüge; aber ein enorm wirksamer Trick der Marketing-Leute. Fleisch einfach durch eine andere Masse ersetzen, ist sinnlos, wenn deren Produktionsmethoden ebenso ausufernd sind. Und das ist bei aller Massenware der Fall.
Mein Fazit
Das Fazit steht in den täglichen Nachrichten. In den ignorierten Fakten und der um sie herum entstandenen, kausalen Wechselwirkungen. Die Versorgung der Bevölkerung umstellen auf bessere Methoden? Ein Großprojekt, klar, aber nicht unmöglich. Im Gegenteil. Aber jetzt warte ich erst mal, was die Leser_innen kommentieren (oder nicht kommentieren), bevor ich meine Gedanken zu Alternativen notiere.
Weiterführende Informationen
Vorläufige Fleischbilanz 2021 Quelle: BMEL
Fleischkonsum in Deutschland Quelle: Statista
Fleischatlas 2021 Quelle: Heinrich-Böll-Stiftung (PDF)
Die Ackerkrume und ihre Bedeutung Quelle: Umweltbundesamt
Wasser in der Landwirtschaft I Quelle: Umweltinstitut München
Wasser in der Landwirtschaft II Quelle: Süddeutsche Zeitung
Immer mehr Jagdscheine Quelle: Jagdschule24.de
Soja, ein Problem der Fleischesser Quelle: WWF
Soja-Anbau weltweit Quelle: Albert Schweitzer Stiftung
Monokulturen und ihre Folgen Quelle: Quarks online
Der Kleinbauer stirbt aus Quelle: Bundeszentrale Politische Bildung
Separatorenfleisch. Hä? Quelle: Warentest
Guten Tag Flusskiesel,
danke für den Beitrag. Zwar geht der Fleischkonsum zurück, das Problem dabei ist jedoch die Zeit. Eine Transformation in ein alternatives Lebenskonzept hätte schon vor langer Zeit beginnen müssen. Es ist nicht ‚Du kannst eh nichts ändern‘, es ist, dass die Masse in der Tat nichts ändert. Die Realität ist es, was dich stören muss, nicht die Haltung; denn alternative Wege sind schon seit vielen Jahren beschrieben und hier und da umgesetzt. Es ist seit langem bekannt, was getan werden muss, wie es zu tun ist. Allein der/die Verbraucher kümmern sich nicht um die Umsetzung. Nun beginnt das, was klar absehbar war: die Natur zwingt uns. Wassermangel wird die fleischproduzierende Industrie in die Knie zwingen, denn die Frage, ob Wasser an Tönnies geliefert wird oder an das Dorf nebenan, wird nicht gut ausgehen für Tönnies. Alles andere würde wütende Menschen generieren – die wütenden Menschen, die jahrelang Fleisch gegessen haben. Der Reflex, dass nun alle auf ein alternatives Massenprodukt wie Tofu oder Insekten umschwenken, ist Eulen nach Athen getragen. Ein großes Problem sind die Städte, die Metropolen. Auf dem Land (egal wo) ist im Ernärungs- wie auch dem Energiesektor die einzig gangbare Antwort die Dezentralisierung (damit verliert das globale Kapital), also die regionale Erzeugung. Das bedeutet eine Zunahme an Arbeitsplätzen in diesen Bereichen, muss aber auch bedeuten, dass Energie und Essen/Wasser auf einem genossenschaftlichen Gedanken beruht, was keinesfalls gleichbedeutend mit einem sozialistischen Gedanken. Das wird von den Leugnern gerne mißbraucht als Kampfbegriff. Dann müsste jede Volksbank sozialistisch sein und jede Raiffeisenbank. Es heißt lediglich, dass die Produktion von Energie/Essen/Wasser in gemeinsam verwalteter Hand ist. So können diese sogenannten ‚Sektoren‘ sich gegenseitig aushelfen (Stichwort: Sektorenkopplung). Aber wie gesagt, diese Prinzipien gibt es seit langem. Und sie funktionieren. Die wahren Verlierer dabei sind Kapital, Rendite, Dividende, Hedgefonds, Großbanken, Menschen, die sich einen Dreck um das Gemeinwohl scheren.
Grüße
Ein sehr informativer und auch durch die persönliche Perspektive sehr berührender Artikel!
Allerdings störe ich mich an dieser ,,Du kannst eh nichts ändern!“-Haltung. Der Verbraucher denkt sich dann:
,,Wenn es eh egal ist: Her mit dem Billigschnitzel!“
Übrigens geht die Fleischproduktion in Deutschland zurück (Quelle: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/schweinebestand-deutschland-100.html).