Ich erinnere an … / Teil 8

Heute denke ich an Hermann, Friedrich, Moriz, Anna und Aron

Hier ist die Verbindung

Hermann ALLERS
Wohnhaft in Hamburg, geboren 1887. Gehörte zu den 71 Inhaftierten, die am 21. bzw. 23. April 1945 im KZ Neuengamme gehenkt bzw. ermordet wurden.

Warum? Warum wurden Hermann und 70 andere Menschen von Fuhlsbüttel nach Neuengamme verbracht und hingerichtet? 13 Frauen und 58 Männer. Bestialisch. Im Arrestbunker mit Handgranaten, Kopfschüssen oder erschlagen. Niemand von ihnen war ein/e Kriminelle/r. Und was mich dabei besonders ärgert, sind Menschen, die sich heutzutage mit Hermann und all den anderen damaligen Opfern identifizieren, etwa auf Querdenker-Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Menschen, die allen Ernstes Mord mit Handgranaten, Kopfschüssen oder Knüppel dem gleichsetzen, was die Polizei tut, wenn nachvollziehbare Auflagen nicht eingehalten werden. Egozentriker. Da sehen wir keine Weltbilder mehr, nur noch ICH-Bilder. Viele der 71 Ermordeten waren hingegen Widerstandskämpfer:innen im Sinne des Wortes. Keine Freizeithelden aus Gründen von ‚mir geht es zu gut‘.

Friedrich ANDERSEN
Friedrich war von Beruf Schneider. Er wohnte in Hamburg in der Große Theaterstraße 48 und wurde am 7.10.1897 geboren. Vielleicht war Friedrich in der KPD oder der SPD, der Haftgrund ist wohl nicht verzeichnet, ab er wurde am 28.10.1937 ermordet.

Moriz APPERMANN
Von Beruf war Moriz ein Kaufmann, ein kaufmännischer Angestellter. Auch er wohnte in Hamburg, in der Emilienstraße 87 und wurde geboren am 15.4.1883 in Wien. Er war Österreicher und weigerte sich, einen jüdischen Vornamen anzunehmen, wie die Nazis es den jüdischen Mitbürgern vorschrieben. Dafür wurde er verurteilt. Er wurde am 30.3.1942 ermordet.

Anna ARAPOWA
Anna war eine der Zwangsarbeiterinnen, die beim Norddeutschen Leichtmetall- und Colbenwerk (NOLEICO) in Altona als gefangene Soldatinnen der Roten Armee zur täglichen Arbeit gezwungen wurde, und das bei schlechter Verpflegung. Genau dagegen haben die Frauen dann protestiert, die Arbeit niedergelegt. Das Werk rief die Gestapo. Fünf der Frauen ließ man als ‚Rädelsführerinnen‘ verhaften. Sie kamen nach Fuhlsbüttel. Anna wurde geboren am 22. Oktober 1916 in Sverdlowsk, in der Sowjetunion. Am 15. November 1943 wurden sie in den Winsbergen bei Eidelstedt nördlich von Altona durch Genickschuss hingerichtet. Die anderen russischen Zwangsarbeiterinnen aus dem Werk mussten zur Abschreckung zuschauen.

Aron AUERBACH
So wie Moriz, war auch Aron von Beruf Kaufmann, wohnhaft in Hamburg in der Hansastraße 74, geboren am 20.4.1869 und ermordet am 5.7.1938, Haftgrund war rassisch, denn Aron war ebenso wie Moriz Jude.

Wären Moriz und Aron noch unter uns und sähen die Benutzung des von den Nazis im September 1941 eingeführten ‚Judensterns‘ als Meinungs- und Identifikationssymbol von Menschen, die eine Impfung mit den ‚Sofortmaßnahmen der Judenfrage‘ gleichsetzen, würden beide den Kopf schütteln und sich mindestens ungläubig wegdrehen. Eine Beleidigung all der Opfer. Eine Verhöhnung des Leids. Mir fehlt dafür jegliches Verständnis. Dafür gibt es noch nicht mal den Hauch einer Entschuldigung. Ein einziger Grund, sich fremdzuschämen.

Hier ist die Verantwortung

Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich jetzt mit dem Komplex um meinen Opa (ja, ich sage immer noch ‚Opa‘, denn das war er ja und wird es immer sein). Vor allem das Buch von Herbert Diercks (das es leider nicht mehr gibt) habe ich mehr als einmal durchgearbeitet, bis es auseinanderfiel und ich mir ein neues besorgte. Und dort drinnen die Namen, von denen ich nach all den Jahren schon einige zu kennen meine. Sich mit diesen Namen beschäftigen und dahinter erst Personen, dann Menschen, dann deren Leben (sofern aufgezeichnet) und Wirken zu sehen, schafft eine Verbindung. Man kann Menschen kennenlernen, indem man sich nur mit ihrem Vermächtnis beschäftigt. Eine emotionale Verbindung aufbauen. Was zeigt, dass sie nur physisch nicht mehr hier sind. Sie leben immer noch unter uns. In unserem Gedächtnis und den damit verbundenen Emotionen. Sie sind nicht tot. Und das ist die Verantwortung, die sie uns aufbürden, die wir uns selbst aufbürden. Das ist unsere Pflicht. Keine Schuld, sondern Pflicht. Das tut Geschichte, wenn man sich mit ihr im besten menschlichen Sinne beschäftigt. Die Nazis, die Neurechten, Populisten, Ewiggestrigen können das nicht. Geschichte ist ihr Feind. Dort steht, dass sie unrecht haben.

Anmerkung des Autors

Denjenigen unter uns, die der Meinung sind, Pandemie-Maßnahmen in Deutschland bzw. weltweit, seien auch nur ansatzweise mit Handlungen der Gestapo oder den totalitären Wesenszügen des Dritten Reichs vergleichbar, möchte ich nahelegen, solche kleinen Geschichten zu lesen und genau darüber nachzudenken, ob irgendjemand heutzutage so behandelt wird, nur weil er gegen Corona-Maßnahmen demonstriert. Wer diesen Vergleich zieht, verhöhnt Hermann, Friedrich, Moriz, Anna und Aron und all die anderen Opfer des Naziterrors. Ich kann nur schlussfolgern, dass hier ein sehr begrenztes Wissen bzw. Ahnungen oder Hörensagen vorliegen und man sich in keinster Weise mit den massenhaft zur Verfügung stehenden Quellen beschäftigt hat, sondern sich auf das verlässt und man dem folgt, was moderne Rattenfänger streuen, um eigene Ziele zu verfolgen. Das ist peinlich und beschämend. Zumal im Zuge dieser Rattenfänger-Maßnahmen Rassismus und Antisemitismus aufblühen, und Mitmarschierer sich das automatisch zu eigen machen.

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