Schreiben?
Warum schreibe ich? Wann hast du angefangen zu schreiben? Häufig gestellte Fragen. Beide Fragen können nicht ohne die jeweils andere existieren. Wann und warum? Wann, das lässt sich rein historisch schnell beantworten. Mit dreizehn Jahren. Aber das Beben der Worte hat schon viel früher begonnen. Mit Dreizehn erfolgte einfach nur der erste, große Ausbruch. Auf einer Olympia Reiseschreibmaschine tippte ich einen Roman ab, Seite um Seite. Am Ende las ich ihn durch, fand es ganz furchtbar und schmiss das Manuskript in den Papierkorb. So kenne ich mich. Was nichts nutzt, nicht den mir gesetzten Vorstellungen entspricht, fliegt weg. Allerdings habe ich die Rechnung ohne meine Mutter gemacht, die das gute Stück wieder aus dem Mülleimer fischte und aufbewahrte. Aber um noch einmal auf das Beben der Worte zurückzukommen, das ja unmittelbar mit dem ‚Warum‘ zusammenhängt … da bin ich mir nicht schlüssig. Es ist vermutlich – wie so oft – eine Kombination aus vielen Elementen. Umwelt trifft auf Anlage. Die habe ich mit auf den Weg bekommen und lebe – wie alle anderen – mehr oder weniger gut und gerne damit; sie interessieren mich auch nicht wirklich. Dafür die Umwelt umso mehr, und da möchte ich drei Faktoren erwähnen:
1. Meine Mutter und
2. ihr Drang oder ihr Bestreben, mir frühzeitig das Lesen beizubringen und mir – um es zu fördern – viele Bücher geschenkt hat; dazu
3. mein Opa (eigentlich Stiefopa), der mich mit Geschichten quasi vollstopfte.
Die Saat …
… fällt auf einen mehr oder weniger gut vorbereiteten Boden (wobei ich als Landwirt sehr gut weiß, dass Boden nicht gleich Boden ist). In der Regel geht die Saat auf. Die Art des sich Ausdrückens ist sehr unterschiedlich. Musizieren, malen, formen, schreiben – es ist immer ein Dialog mit sich selbst und der Welt; schätze ich. Und doch braucht es einen Auslöser. Was hat die Menschen in den Höhlen von Lascaux dazu bewogen, sich, ihre Erlebnisse, ihre Welt, in Bildern an der Wand zu verewigen? Ein wichtiger Aspekt ist sicher, der Drang, etwas, das größer ist als man selbst, ein Gesicht zu geben. Da denke ich bspw. an Abbildungen des nächtlichen Firmaments oder der zyklisch wiederkehrenden Sonne. Da ahnte der Mensch schnell, dass es Dinge gibt, die er nicht so richtig versteht; könnte darum auch der Beginn von Religion und Glaube sein. Aber auch tägliche Erlebnisse (einen Bären erlegen = Adrenalin) die unbedingt raus müssen, die man „erzählen muss“, weil man ansonsten platzt. Der Drang zur Erzählung, zur Geschichte, zum Mitteilen, ist also Nichtverstehen, Nichtbegreifen, aber auch die unmittelbare Gefahr – und am Ende die daraus resultierende Neugier. Da war es ein kleiner Schritt zu Bildern, Muschelketten, Gesang bzw. Musik. Und ein noch kleinerer von Erzählenden zu den Zuhörenden.
Jemand redet
Kann man so sagen: jemand redet in meinem Kopf. Dieser Jemand ist so eine Art Sparringspartner. Er äußert dauernd Zweifel, macht mich lächerlich, ist unbequem, argumentiert von der Gegenseite und fällt dir ins Wort (in die Gedanken). Ihn abschalten geht nicht. Dieser Jemand kann sehr emotional werden oder kühl kalkulierend. In diesem Spannungsfeld entsteht ein Überdruck. In meinem Fall ist das Schreiben das Überdruckventil. In der Tat ist es so, dass – wenn es nicht rechtzeitig auslöst – der Kessel Gefahr läuft, zu platzen. Ich muss also schreiben. Die Intervalle zwischen Druck ablassen und Druckaufbau sind sehr unterschiedlich. Manchmal vergehen Monate. So war es zumindest früher. Und früher heißt, etwa bis zu meinem 45sten Lebensjahr. Bis dahin war das Schreiben eine Tätigkeit, die in Schüben kam. Das hat sich ins Gegenteil verkehrt. Der Kerl in meinem Kopf redet nun dauernd.
Schriftsteller:in
Ein komisches Wort. Was schreibt man als Schriftsteller? Ist eigentlich egal, denn ob nun Erfundenes oder Erlebtes oder beides gemischt: es ist immer ein Teil des Selbst in den Texten. Eigene Erfahrungen – oder ganz pragmatisch – erlebte Charaktere, die man in die Bücher verpflanzt. Auf irgendeine gemachte Erfahrung greifen wohl alle Autor:innen zurück. Und je mehr Erfahrung, desto einfacher, vielfältiger und tiefer wird es. Selbst in einer Fantasy-Story wie Harry Potter oder der Herr der Ringe greifen die Autor:innen auf erlebte Charaktere und Situationen zurück. Man merkt es den Texten deutlich an, wenn sie imaginiert sind, ohne eigene Erfahrungen. Künstlich. Man muss also gefühlt haben, was man schreibt … okay, nicht immer, denn es gibt auch tatsächliche Genies, die das alles imaginieren können – wenige. Kann man nun mit Kunst die Welt verändern? Besser machen? Kann man als Schriftsteller:in dazu beitragen? Die Welt, das ist ein großer Begriff. Einen Menschen, ja, den kann man beeinflussen, Wegmarken setzen, will ich mal sagen. Diese Wegmarken können Reflexion und Analogien begünstigen. Und je mehr Leser:innen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich in der Masse etwas verändert. Messbar ist das nicht, aber spürbar schon. Gerade Texte (aber auch Musik) aus der Beat-Generation haben die Möglichkeiten von Veränderung deutlich gezeigt. Und auch die wissenschaftliche Forschung, vor allem interdisziplinär, zum Dritten Reich, die daraus entstandenen populärwissenschaftlichen Texte und Medien, haben eine spürbare Wirkung auf die Menschen.
Schreiben!
Ich schreibe also jetzt seit 1977. Kontinuierlich. Mal mehr, mal weniger. Mal abgesehen vom ersten Roman-Fehlversuch, war es zu Beginn nur Lyrische Kurzprosa. Ab Anfang zwanzig dann Kurzgeschichten. Aber das Fernziel war der Roman. Ich wusste, ich kann das, aber die Tür war verschlossen. Erst im August 2010 habe ich sie aufgestoßen. Siebenhundert DIN-A4-Seiten in drei Monaten. Plötzlich weiß man dann, dass Schreiben auch Routine ist, Handwerkszeug. Bewusstes Setzen von Punkten, Charakteren, Dialogen. Mit einem Mal öffnen sich weitere Türen. Es läuft, sozusagen. Eine Stufe höher auf der schriftstellerischen Evolutionstreppe. Dabei lag mein Hauptaugenmerk im Deutschunterricht im Beobachten der Natur vor den Fenstern – oder im Schlaf. Wer mich nach Rechtschreibregeln, Reim, Vers und deutscher Dichter- und Denkerliteratur fragt, bekommt ein leeres Blatt – wie mein Deutschlehrer. Seltsam. Was mich zum letzten Punkt führt: dem Lesen. Was mir beim Schreiben geholfen hat, war zu 0% der Deutschunterricht, und zu 100% das Lesen von Büchern, Zeitschriften, Magazinen sowie das schwankende, unsichere Leben selbst. Und die Stimme in meinem Kopf.