Lyrik 1986 | 1987

Willkommen im Lyrik-Archiv der Jahre 1986 und 1987. Hier ist die Übersicht aller Lyrischen Kurzprosa. Alle Texte sind hinter den jeweiligen Ausklappboxen abgelegt. Drunter findet sich noch ein Link zu dem einzelnen Blogbeitrag. Dort steht noch ein kleiner Begleittext, falls es Euch interessiert. Lasst gerne einen Kommentar da. Solange Hass und Häme draußen bleiben, sind sie mir willkommen. Traut Euch. Danke!

Ich sitze
zwischen Tränen
und Träumen
beobachte blaue Sonnen
zwischen großen Seifenblasen
Auf Ebenen mit
gläsernen Pyramiden
Darin Menschen
lachen und trinken
weinen und töten
Abend und Morgen
gibt es nicht
Gewohnheiten abgeschafft
Ende der Vorstellung
Menschen fallen
in blaue Sonnen
werden Seifenblasen
zertrümmern

Januar 1986
Kontext

Tausend Gedanken
kein Inhalt
Tausend Ideen
keine Kraft
Tausend Freunde
kein Gesicht
Tausend Brücken
alle magisch
Tausend Flaschen
alle leer
Idioten töten Idiot
Das Leben nehmen
würde ich nicht sagen
Den Tod geben
klingt besser
Ich bin das Pech
ihr sollt kein
anderes Pech
neben mir haben
Tausend Tode
nur einer
ist richtig

Januar 1986
Kontext

Das wenige Licht
da draußen zu finden
oder gute Nachrichten
ist äußerst schwierig
Nur wenige von uns
machen das Leben kaputt
und sehr viele wehren
sich nicht dagegen
Nur wenige leben
hinter großen Zäunen
die Meisten vegetieren
außerhalb dahin
damit beschäftigt
ihre kleine Lebensflamme
über den Tag zu retten
Mensch zu bleiben
fällt ihnen schwer
Hinter den großen
Zäunen jedoch ist
Mensch werden
unmöglich

Januar 1986
Kontext

Traurige Gestalten
an der Theke
mich eingeschlossen
Wir erzählen von
Selbstmordversuchen
Alle vergeblich
sonst säßen wir
Idioten nicht hier
Zu dumm zum
oder zu feige oder
noch zu hoffend
Macht ja nichts
Neue Runde für alle
Der Wirt berichtet
von sicheren Methoden
Niemand hört ihm zu
Wenn die Verlierer
nicht mehr zuhören
wer dann

Januar 1986
Kontext

Finger greifen daneben
Augen sind schwach
Worte werden Qual
Ohren sollen hören
Feind ist Freund
Freund ist Alptraum
Ein Fuchs wartet
der Geier lacht
und die Hyäne weint
Alles vergebens
Auch die Hoffnung
auf einen
angenehmen Tod

Januar 1987
Kontext

Engel
leih mir deine Flügel
Engel
gib mir deine Sinne
Engel
mach für mich Musik
Lass Gläser zerspringen
und Fluten entstehen
Lass Dämme bersten
Atmosphären verbrennen
Engel
bau mir eine Treppe
zu den Sternen
und für die anderen
eine Treppe zum Styx
Auf dass sie
ewig ertrinken
und leben

Februar 1987
Kontext

Die Heimat
tief verborgen
im schwarzen Äther
mehr als einsam
Auf eiskalte
Wege gezwungen
Mit Gästen
voller Ängste und
Wut wie Parasiten
sich vermehrend
verliert ihr Blau
blutet ihr Grün
verdrängt vom Braun
auf dem Boden
in den Köpfen
in den Seelen
wird zum Feind
schüttelt die
Parasiten ab
wird einsame
Heimat sein

März 1987
Kontext

Und wieder
geht ein Stern nieder
ein Mond explodiert
Ich bin nicht extrem
Ich vergehe

Fuß vor Fuß
langsam
hole ich
die Sonnen
vom Himmel
Den Leerraum
fülle ich mit
Euch

März 1987
Kontext

Du weißt
ich muss dich verlassen
Der Sommer erlaubt kein Glück
Er bringt nichts
nur sein eigenes Leben
Das der anderen erstickt darin
Wie unter einem kühlen Baum
dessen Schatten dich
zum Schwitzen bringt
Wie der Vogel
der dir ein
stummes Lied singt
Wie der Fluss
dessen heißes Wasser
die Fische kocht
Jetzt weißt Du

Mai 1987
Kontext

Hier drin
ein Feind der
Feindschaft
unter Freunden
deren Freundschaft
in Heuchelei endet
Rundherum
starrende Augen
derer die Feinde
oder Freunde sind
hässliche leere
Worte von
feindlichen Freunden
freundlichen Feinden
Wie lächerlich

Mai 1987
Kontext

Vielleicht sollte man
aber vielleicht auch nicht
Oder man kann
aber nur
wenn die und der
möglicherweise auch
und dann wäre
Ja
Dann wäre der
wie ich
oder
wie alle
Eher eigentlich
Nein
Deshalb kann sie ebenfalls
auch nicht
sondern nur
weil seiner Zeit
einige anders herum
so wie ich
der mal wieder
ganz klar
vielleicht sagt
obwohl alles
ganz einfach
schwierig ist

Juni 1987
Kontext

Mein Atem
schwer
Kalte Nadeln
im Kopf
verschwommene Welt
kleine Träne
im Augenwinkel
schnell verwischt
brennt sie doch
lange nach
Furchen im
Herz werden tiefer
Ich glühe
Nebel
Jemand schreit
ich höre ihn nicht
verbranntes Fleisch
Staub
Atmen
Dann endlich
Schlaf

Juni 1987
Kontext

Kneipentür
Ein Schrei
dringt durchs Glas
Blut färbt die Straße
friert auf
eisigem Teer
Dutzendfach hallt
der Schrei
zwischen Gebäuden
in unsren Ohren
Dutzendfach Angst
Autos fahren
einen Bogen
um kaltes Fleisch
Blaulicht kommt
flackert im
blutigen Eis
Erleichtert
bestelle ich
Southern Comfort

November 1987
Kontext

Erspart mir
gelegentliche
Freundschaftsbesuche
mitleidvolle Blicke
Erspart mir
euch weinen zu sehen
Ich bekomme davon
Diarrhoe
Geht aus meinem Telefon
Erspart mir
geteiltes Leid
Die eine Hälfte
liegt nur in
meiner Küche
rum

November 1987
Kontext

Halbdunkel
Fremde Welt
Lichtscheu
Spülmaschine gurgelt
Um mich Flaschen
Alle voll
Nur zu
lasst euch gehen
Bestellt das nächste Glas
Draußen Sirenen
Fliegerangriff
Leben voll Armut
Sterben in Gleichgültigkeit
Bomben jaulen
Egal
Die Zigarette ist
zu lang

November 1987
Kontext

Der Tod
freundlich und nett
ruhige Stimme
scharfe Sense
Kobaltaugen
Sein Anliegen
Mich holen
Wir verhandeln
den Sterbetag
Jedenfalls nicht im Herbst
Katalog mit Sterbearten
auf dem Tisch
Hochwertig
Melodramatisch
sage ich
Der Tod ist zufrieden
Beratung und Service
sind kostenlos
Wir gehen
einen trinken
Auf meinen Deckel
versteht sich

Dezember 1987
Kontext

Hundert Köpfe
ein Schwachsinn
Hundert Probleme
ein Thema
Hundert Ideen
ein Moloch
Hundert Seelen
alle verbrannt
Hundert Gerüche
ein Gestank
Zweihundert Augen
alle grau
Tausend Finger
alle verkrümmt
Wenn ich dann frage
Wo ist das Leben
zeigt jeder auf sich
Ich hasse sie

Dezember 1987
Kontext

Rote Sterne kollabieren
Kinder werden zu Staub
Ich werde nichts tun
Nur ein brutaler Maler sein
ein sadistischer Dichter
ein poetischer Unmensch
Teure Schweine keulen
Blut rühren im Eimer
Kirchenwände beschmieren
Ich bin zum Denken bereit
Seid Ihr bereit
zu sterben

Dezember 1987
Kontext

Die lachen hässlich
die verdorben sind
Die lachen freundlich
die nicht verzichten wollen
Die lachen schön
die so geboren sind
Die lachen nett
die gefallen wollen
Die die fallen
lachen immer
und am
ehrlichsten

Dezember 1987
Kontext

Vor dem Fenster
Alles spiegelt sich
Die Kerze
Flaschen
Zeitschriften
Keine Spur von mir
Weder Augen
noch Mund
Nichts
Nichts zwischen Bäumen
Nichts im kühlen Wald
Nichts unter warmer Sonne
Nichts zwischen fühlenden Händen
Erfüllung ohne Füllung
Schwärze
hinterm Glas

Dezember 1987
Kontext

Sie tragen wieder
Intelligenz vor sich her
wie die Katholen
ihre Monstranz
Nase oben Pöbel
unter den Sohlen
Ich-Rausch
Stolz auf Kontoauszüge
Ehren weder
Liebe noch Tod
Nur Sex und Zaster
Besitzen Alibikinder
Mercedes auf die
Vorhaut tätowiert
Felgen Ficken Frauen
Himalaya-Ego
Bluten lassen macht
süchtig und
Blut bringt Geld
Streicheln mit der
Kralle des Falken
Sterben einsam

Dezember 1987
Kontext

In dieser Welt
ohne Himmelblau
zwischen Worten aus Eis
knöchernen Gedanken
sind Menschen
in Augenhöhlen
klettern hinein heraus
krabbeln entlang
kahler Flächen
hinter Rippen
kratzen Seelenreste
von trockenen Herzen
hautlos fleischlos
körnig und rau
Leblos
fallen sie und
weinen nicht

Dezember 1987
Kontext

Danke fürs Lesen!

Unterstützung durch Crowdfunding

Unterstütze Heiko Tessmann auf Tipeee

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert