Der Weg der Landwirtschaft

Quo vadis? Woher kommt die Landwirtschaft und wohin führt sie?
Der Weg der Landwirtschaft vom Beginn des Ackerbaus > eine Übersicht

Hilft uns die historische Betrachtung der land- und viehwirtschaftlichen Entwicklung bei den Problemem heutzutage und in der Zukunft? Es kann zumindest nicht schaden, einen groben Überblick zu bekommen. Viele der Auswirkungen haben ihren Ursprung vor langer Zeit. Und in sich gesehen, ist es ein logischer Hergang, von Menschen begleitet oder entscheidend beeinflusst, die Gutes tun wollten, in ihrer Zeit die besten Lösungen allen Menschen zur Verfügung stellten, aber aus heutiger Sicht in diese Misere führte. Einzelne Meisterleistungen sind nun mal nicht isoliert zu betrachten, denn als komplexes Teilsystem Mensch, leben wir in einem komplexen Gesamtsystem Natur. Einzelhandlungen können also systemrelevant sein.

ACKERBAU

Es geht los

Zu Beginn der Jungsteinzeit entstanden in den Gebieten der Levante, Anatoliens und dem Zweistromland die ersten Anzeichen von Ackerbau. Der Mensch erkannte den Zyklus von Jahreszeit, Wetter und Vegetation als ein Werkzeug, um es für sich zu nutzen. Er hatte Bedarfe, Bedürfnisse und immer wieder Probleme (bspw. Trockenheit, Tierwanderungen) sich, die Familie, die Gruppe zu versorgen. Die Beobachtung der Umwelt lieferte ihm – wie so oft – eine Lösung. Im Kontext zu diesen Entwicklungen entstanden keramische Vorratsbehälter, und der Mensch tat das, was eines seiner Hauptmerkmale ist: er kombinierte unterschiedliche Techniken bzw. Lösungsansätze zu neuen Lösungen, um so einen Fortschritt für sich zu generieren. Als er erst einmal damit begann, das was Tiere und er selbst sowieso schon seit Generationen aßen (Früchte, Nüsse, Wurzeln und Körner von Gräsern), nun gezielt anzubauen, in Keramiken zu lagern, mit Nachbarn gegen Fleisch, Waffen, Schmuck oder Werkzeug zu tauschen, als er entdeckte, dass woanders Bedarf bestand, während er dieses Jahr Überschuss hatte, war der Moment einer kulturellen und gesellschaftlichen Initialzündung gegeben. Von nun an begann der Mensch seine Umwelt zunehmend nach seinem Bedarf und nach seinen Bedürfnissen zu verändern. Der Bedarf stieg stetig bis exponentiell und Bedürfnisse kamen immer neue hinzu. Der Übergang selbst jedoch geschah innerhalb eines größeren Zeitraumes und war auch von Rückschlägen geprägt, also Ernteausfällen und Rückkehr in die Jäger- und Sammlerzeit. Der Anfang aber war getan.

Wissensvermehrung

Als der Mensch begann, sich mit dem Boden, den Pflanzen und dem Wetter auseinanderzusetzen, begriff er nach und nach die unmittelbaren Zusammenhänge zwischen diesen Komponenten innerhalb seines lokalen Einflussraumes. Besonders deutlich wird dies in den Hochkulturen an Euphrat und Tigris sowie im ägyptischen Reich.
Technik
Die Prinzipien der damaligen Bewässerungstechniken sind bis heute identisch, lediglich die technischen Hilfsmittel sind angepasst. So war es möglich, Völker zu ernähren, deren Bevölkerungszahl eindeutig und vielfach die Möglichkeiten der verfügbaren Anbaufläche überstieg. Große Vorratsspeicher federten magere Wochen oder Dürrejahre ab und das Problem eines ausgelaugten Bodens wurde durch die frühjährliche Schwemmlandanlieferung seitens der Flüsse kompensiert. Mit einher ging die stetige Verbesserung der Werkzeuge für die Bodenbearbeitung. Ob Menschenkraft oder Tierkraft, bis zu einem bestimmten Level an technischer Umsetzung schaffte es der Mensch recht zügig. Ein Meilenstein erreichte er mit dem Beginn der Eisenzeit. Erst das Eisen bzw. seine unter Zugabe von Kohlenstoff im Feuer erzeugte Verbesserung, der Stahl, verschaffte der Bodenbearbeitungstechnik neue Höhenflüge. Doch trotz aller mechanisch-technischen Verbesserungen war des Menschen Einsatz auf den Feldern begrenzt. Er besaß lediglich 1 Menschenkraft pro Arbeitsgerät oder kaum mehr als ein/zwei Kühe bzw. Bullen oder ein/zwei Kaltblüter, die den jeweiligen Geräten vorgespannt waren. Diese Zugtiere waren selbst abhängig von gutem Futter, brachten aber in schwerem, nassen Gelände (wie im Frühjahr) lediglich halbe Leistung auf den Boden, und der Mensch dahinter schaffte es kaum, das Anbaugerät in der Spur zu halten, denn auch er war abhängig von Essen und Kraft. Schlechte Böden sind ein Grund weiterzuwandern in Gebiete, deren Böden turnusmäßig von der Natur reich beschenkt wurden, also Schwemmland, Überschwemmungsland nach Schneeschmelzen oder Regenzeiten. So bildeten sich Siedlungsschwerpunkte in Auen und Flussdeltas.
Biologie
Als der erntende Mensch die Körner auf seiner Handfläche betrachtete, fielen ihm unweigerlich die dickeren, gut ausgebildeten Körner ins Auge, die sich deutlich von kleinen, geschrumpften unterschieden. Im Zweistromland waren das hauptsächlich die Körner des Einkorn und des Emmer (einer Ur-Weizenart, die heute wieder vermehrt angebaut wird) und die Gerste. Durch die Aussaat dieser kräftigen Körner begann der Mensch mit der Kultivierung des Saatgutes. Die Bauern sammelten Erfahrung mit „starken“ und „schwachen“ Pflanzen und konzentrierten sich zunehmend auf die Eigenschaften bei Trockenheit oder der Mehlqualität. Auch der Befall von Ähren (Korn) durch Pilze konnte durch Einkreuzung von Wildweizenarten im Zaum gehalten werden.
Erste Grenzen
Doch trotz aller Fortschritte in Bewässerung, Anbautechnik und Saatgutkontrolle, kam es immer wieder zu Hungersnöten, Abwanderungen von großen Teilen der Bevölkerung, zu Krieg und Revolten. In Imperien wie China oder dem Römischen Reich begegnete man diesem Problem durch Gebietserweiterungen. Erst als Rom Karthago bezwang und so Zugang zur späteren „nordafrikanischen Kornkammer“ des Reiches, begann der Aufstieg zur Weltmacht. Der Landwirtschaft aber war eine technische Grenze und eine Flächengrenze gesetzt. An diese Grenzen stieß das jeweilige Reich, wenn das Bevölkerungswachstum einen Sollwert überstieg oder eine Ausdehnungsgrenze überschritt.

Beeinflussung durch den Menschen

Als Endprodukt der letzten Eiszeit war Nordafrika eine zum großen Teil blühende Landschaft, prädestiniert für den Getreideanbau. Genau aus diesem Grund wurde es die Kornkammer Roms. Aber Machtanspruch und Bevölkerungszunahme waren schon zu dieser Zeit entgegengesetzt wirkende Kräfte. Der Schiffsbau der Karthager, Phönizier und Griechen hatte deren jeweilige Heimatgebiete durch radikalen Raubbau an den mediterranen Wäldern nachhaltig verändert. Absenkung des Grundwasserspiegels, teilweise vollständiger Abtrag des Bodengefüges bis auf die Felsen durch Wasser- und Winderosion, haben diese Landschaften geprägt. In unseren Urlauben in Griechenland, der Türkei oder Nordafrika sehen wir, was unsere Vorfahren in der Antike ausgelöst haben. Für Rom war der Weizenanbau überlebenswichtig, weswegen der Sieg in den Punischen Kriegen von strategischer Bedeutung war. Auf den nordafrikanischen Flächen folgte daraufhin Jahr für Jahr eine Weizenernte nach der anderen. Dafür musste gerodet werden, dafür waren enorme Mengen an Wasser nötig, das durch Regen und Wasserspeicher nicht mehr geliefert werden konnte. Brunnen wurden tiefer und tiefer gebohrt, und kam dann der Regen, war er sturzbachartig, denn keine Vegetation hielt ihn zurück. Das Bodengefüge wurde weggeschwemmt. Bis heute haben sich diese Landschaften nicht mehr davon erholt.

Die Katastrophe der Maya

Im 9. Jahrhundert n. Chr. umfasste die Maya-Kultur viele Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern auf ganz Yucatán, verbunden durch Dammstraßen, administriert durch eine ausgefeilte Verwaltung, einer hochwertigen Bewässerungstechnik, Saatgutauswahl und nicht zuletzt einem ausgeklügelten Anbausystem namens Milpa (in der indigenen Sprache Náhuatl ist milli = „Saat, Saatfeld“ und -pa = „an, bei, am Ort“). Hauptsächlich verwendet werden Mais, Bohnen und Kürbisse. Der Mais holt sich das Licht der Sonne, ist schnell groß, wird Rankhilfe für die Bohnen, die dem Boden bzw. dem Mais Stickstoff geben; und gegen die Austrocknung des Bodens helfen die breitblättrigen, schattengebenden Kürbispflanzen, die zwischen allem auf dem Boden wachsen. Was die Maya nicht wissen konnten, war, dass ganz Yucatán, ähnlich der schwäbischen Alb oder großen Teilen des West- und Ostbalkans, eine Karstlandschaft ist. Die Krume ist dünn, darunter ist ein extrem wasserdurchlässiger Kalkstein, dessen Mineralien und Nährstoffe stets nach unten ausgewaschen werden und kaum zur Krume – also Bodenbildung – beitragen. Für eine Bevölkerungsanzahl x waren die Anbauflächen ausreichend und die Anbaumethoden die nachhaltigsten zu dieser Zeit. Als die Bevölkerung jedoch wuchs, mussten die Maya brandroden, um neue Flächen zu erschließen (ein dreijähriger Prozess). Die Rodung großer Regenwaldflächen vernichtete aber genau das, was das Wasser in den oberen Bodenschichten hielt – die Verschattung durch Baumkronen, die Wurzeln der Bäume und Sträucher. Da über den Regenwäldern durch die Verdunstung auch die für Regen nötigen Wolken gebildet werden, verloren die Maya zunehmend die Wasserversorgung durch eben diesen Regen. Ihre Zisternen und Bewässerungssysteme versiegten. Nach und nach mussten ganze Städte aufgegeben werden. Ihre Kultur wurde anfällig gegenüber Invasoren aus dem Norden und dem Hochland und nicht zuletzt beendeten die Spanier die Kultur der Maya mit einem Enthauptungsschlag.

Das Mittelalter

Europas Bevölkerung
Als Faustregel für die Dauer des Mittelalters können wir uns leicht Folgendes merken: von 500 bis 1500. Zur Blütezeit Roms, den Zeiten der Kaiser Augustus bis Trajan (31 v. Chr. – 117 n. Chr.) lebten in Europa etwa 43 Millionen Menschen. Im Jahre 500 n. Chr. nur noch geschätzte 41 Millionen. Erst im Jahr 1000 erreichte die Bevölkerung wieder die 43 Millionen-Marke (alle Zahlen beinhalten auch den europäischen Teil Russlands bis zum Ural). Im Jahr 1340 hat sich die Einwohnerzahl auf 87 Millionen verdoppelt, reduzierte sich aber bis zum Ende des Mittelalters durch Seuchen und Hungersnöte auf 84 Millionen. Europa, vor allem die Gebiete des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation, waren fast vollständig bewaldet. Mit der Ausdehnung des Frankenreiches unter Karl d. Großen wurde die Rodung der Wälder umfänglicher, die Trockenlegung von Auen und Flusslandschaften vorangetrieben. Langsam bildet sich das Lehenswesen heraus, also die Gegenleistung für dem Herrscher geleistete Dienste in Form von Land, Gütern oder später auch Ämtern. Das lateinische Wort für Lehen (feudum) ist Wurzel des später so benannten Feudalismus. Die Landwirtschaft basierte im Europa dieser Zeit auf eben diesem System. Die meisten Menschen arbeiteten für einen Lehnsherren und besaßen nur wenig eigenes Land. Abzugeben war der zehnte Teil einer Ernte, auch wenn die Ernte kaum etwas einbrachte. Hunger und Mangelernährung waren die Folge, Krankheiten wie Pest und Cholera wüteten immer und immer wieder unter der Bevölkerung. Von der mit zeitgenössischen Mitteln hocheffizienten Landwirtschaft Ägyptens oder Roms konnte man im Europa des Mittelalters nicht sprechen, was sich in der Stagnation der Bevölkerungszahl ausdrückte.
Neuerungen im Mittelalter
Die Umstellung auf die Drei-Felder-Wirtschaft, ausgehend von karolingischen Klöstern, war im frühen Mittelalter eine Neuerung. Man teilte eine Anbaufläche in drei Teile von denen jedes ein ganzes Vegetationsjahr brach lag. Er wurde nicht bearbeitet, sondern als Weideland genutzt. Im Herbst brach man den Boden um und säte Wintergetreide (Winterweizen, Wintergerste, Winterroggen) aus. Nach der Ernte im Spätsommer und nochmaligem Pflügen plus regelmäßiger Bodenbearbeitung bis zum nächsten Frühjahr (auffrieren, Zerfall und eggen) säte der Bauer Sommergetreide (Sommerweizen, Sommergerste, Hafer) ein. Bis zum nächsten Herbst wurde der Boden sich selbst überlassen und begrünte sich aus eigener Kraft. Zwischen 1100 und 1300 veränderte sich langsam die Pflugform und die Schare wurden nach und nach durch Eisen ersetzt, also nicht nur einen Eisenbeschlag, sondern die stark beanspruchten Teile wurden nun geschmiedet, was die Bodenbearbeitung verbesserte (bessere Durchlüftung, Tiefenlockerung).

Der Übergang

Die Moderne kommt
Als Friedrich II. (Alte Fritz) 1740 König in Preußen wurde, litt sein Königreich unter einer furchtbaren Hungersnot. Auf den Äckern hatte sich entwicklungstechnisch nichts Neues getan. Ein ungewöhnlich strenger Winter verhinderte die frühe Aussaat. Alte, schwache Menschen und kleine Kinder starben reihenweise. So erteilte Friedrich den „Kartoffelbefehl“. Er kaufte Saatkartoffeln und ließ sie in den Dörfern amtlich verteilen. Bis aber der Wert der Kartoffel von den Menschen erkannt und akzeptiert wurde, dauerte es noch viele Jahre.

1 m² Weizenfeld1 m² Kartoffelacker
~ 700 g Weizen = 1 Brot 750 g~ 4 kg Kartoffeln

Nimmt man eine bestimmte Anbaufläche und erntet davon eine Menge x an Weizen, dann ist die Anzahl an Menschen, die davon satt werden können, weitaus geringer als bei einer Menge y an Kartoffeln auf gleicher Anbaufläche. Die Kartoffel rettete vielen Menschen das Leben und setzte sich so in ganz Deutschland durch. Aber nicht nur das passierte in dieser beginnenden Moderne.
Industrialisierung und Aufklärung
Die Industrialisierung brach mit Gewalt los. Beginnend in Großbritannien, überrollte sie den Kontinent wie eine Flutwelle und fegte den Arbeitsmarkt der landwirtschaftlichen Helfer nahezu leer. Die Städte und ihre Industriegebiete wuchsen so enorm, dass ein Sog entstand, der Menschen aus ganz Europa in die Zentren an Rhein, Ruhr, Saar und Mosel zog. Diese Menschen fehlten in der Landwirtschaft. In ganz Europa lebten ca. 195 Millionen Menschen. Wie sollte die Landwirtschaft diesen Abfluss von Arbeitskräften ausgleichen? Und vor allem: Wer war in der Lage, die Stadtbevölkerung ausreichend zu versorgen? Die Aufklärung machte vielen Denkern zum ersten Mal bewusst, dass der Mensch in Zusammenhängen lebte, wechselwirkte und man bewusst darauf Einfluss nehmen kann. Nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora 1815 in Indonesien, nannte man das Jahr 1816 das „Jahr ohne Sommer“. Die Ernteausfälle waren enorm und brachten katastrophale Hungersnöte in Nordamerika und Europa.
Justus von Liebig und der Mineraldünger
Liebig wurde durch den großen Naturforscher Humboldt gefördert und eines seiner Ziele als Chemiker war es, die Landwirtschaft auf eine mehr wissenschaftliche Basis zu stellen, um den Bauern Einfluss auf Pflanze und Boden zu ermöglichen. 1840 entwickelte er im Rahmen seiner Untersuchungen über die Bedingungen des Pflanzenwachstums den Mineraldünger. Er erkannte, dass Elemente wie Stickstoff, Phosphat und Kalium wachstumsfördernde Wirkung besaßen. Diese Art von Dünger gibt es noch heute. Er ist bekannt – nach den Anfangsbuchstaben der Elemente – als NPK-Dünger. Um aber eine stetig steigende Nachfrage nach mineralischen Düngern befriedigen zu können, mussten Verfahren zur künstlichen Herstellung entwickelt werden. Fritz Haber (ja, der Planer des Giftgas-Krieges im 1. WK) und Carl Bosch gelang mit dem Haber-Bosch-Verfahren die Grundlage zur Produktion von synthetischem Stickstoff-Dünger. Mit dem Dünger fiel die Drei-Felder-Wirtschaft in Ungnade und die Fruchtfolge wurde eingeführt, also der stete, wiederkehrende Wechsel von Feldfrüchten auf einem einzigen Acker. Dazu kamen neue Feldfrüchte, deren Wert man nach und nach erkannte, etwa die Zuckerrübe, die Dickrübe, der Raps und der Mais. Die Erträge pro Hektar stiegen um ein Vielfaches und die Versorgungssicherheit wuchs.
Pflanzenschutzmittel
Der Mensch kennt seit dem Altertum natürliche Pflanzenschutzmittel und natürlich die verschiedenen Schadensarten. Ein feuchtes Frühjahr bringt den Pilz, ein zu milder Winter den Kohlweißling. Schon die Römer erkannten den Wert von Schwefel bei Pilzbefall, auch wenn dieses Wissen im Mittelalter wieder verloren ging. Ein je nach lokalem Klima/Wetter mehr oder weniger wirkender Schutz war die Drei-Felder-Wirtschaft. Ein frühes, in der Antike bekanntes Insektizid, ist Pyrethrum, ein Transmitterhemmer, der in Chrysanthemen produziert wird. Durch die Forschungsreisen in tropische Länder stieß man zunehmend auf Gifte, die von den dort lebenden Pflanzen erzeugt wurden, um Fressfeinde abzuwehren. Vor allem Nikotin (Tabakpflanze) und Orchideengifte sind hier zu nennen. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Zeit der anorganischen Salze mit den Elementen Schwefel, Kupfer, Arsen oder Quecksilber. Das erste organische Insektizid war das von Bayer hergestellte Dinitrol. Paul Hermann Müller entwickelte 1939 DDT und Gerhard Schrader 1944 das Parathion, besser bekannt als E 605. Und 1950 synthetisierte der Schweizer Henri Martin das berühmte Glyphosat (bekannt unter seinem Markennamen ‚Roundup‘).

GruppeEinsatz gegen
AkarizideMilben/Spinnentiere
AvizideVögel
BakterizideBakterien
FungizidePilze
HerbizidePflanzen (als Sammelbegriff)
– AlgizidePflanzen (Algen)
– ArborizidePflanzen (Gehölze)
– GraminizidePflanzen (Gräser)
InsektizideInsekten (Schadinsekten)
MolluskizideSchnecken
NematizideFadenwürmer (Nematoden)
OvizideEier von Insekten
RodentizideNagetiere
ViruzideViren/Viroide
Tab.: Übersicht der Pestizide

Damit nicht genug. Weitere Mittel sind sogenannte Beizmittel. Dabei wird Saatgut „gebeizt“, also mit einer pulverartigen Umhüllung versehen, die dafür sorgen soll, dass das Saatgut nicht von Schädlingen befallen oder von Tieren gefressen wird. Ebenso finden Mittel zur Bodenentseuchung oder Stallentseuchung ihren Einsatz (unter anderem Produkte der Zyklon-Reihe; ja, ihr kombiniert richtig).
Maschinen und Anbaugeräte
Neben Mineraldünger, Pflanzenschutz und erweitertem Saatgutspektrum, hat der Einsatz von immer besserer und größerer Technik die intensivste Veränderung in der Landwirtschaft herbeigeführt. Diese Entwicklung begann jedoch recht spät, im Gegensatz zu den ersten drei Punkten. Erst ab Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts stieg zum einen die Schlepperzahl pro Betrieb und zum anderen die PS-Zahl pro Hektar. Mehrere Schlepper bedeutete mehrere Anbaugeräte (Arbeitsschritte) zum selben Zeitpunkt. Mehr PS pro Hektar erlaubte größere Anbaugeräte mit mehr Arbeitsbreite. Das waren die entscheidenden Bedingungen für den Wegfall der Landwirtschaft als Arbeitgeber im großen Stil. Es lohnte sich mehr und mehr, große, zusammenhängende Flächen zu besitzen bzw. zu bewirtschaften. Dadurch stieg der Bedarf an immer mehr PS, was wiederum die Bearbeitung noch größerer Flächen ermöglichte. Ein Kreislauf, der erst heute teilweise gestoppt wurde durch technische und bodenmechanische Grenzen. Die lokalen Landwirtschaftsämter reagierten auf den Wunsch nach Flächenvergrößerung mit Hilfe der Flurbereinigungsverfahren (aus vielen mache eines), die seit den 70er Jahren das Landschaftsbild enorm veränderten. Die großen Maschinen haben jedoch ihren Preis, den kleine Betriebe kaum noch bezahlen können. 1.000 € pro PS sind ein allgemeiner Richtwert und bei PS-Zahlen haben wir aktuell in Deutschland einen Bereich von 70 PS (Weinbergschlepper) bis 600 PS (Raupenschlepper). Ebenso verhält es sich mit den Arbeitsbreiten. Von 80 cm bis 36 Meter ist alles verfügbar.

Viehzucht

Des Menschen nützliche Helfer

Unsere Vorfahren, die Jäger, zogen den Herden hinterher, erlegten hier und da ein Tier auf dem Weg, aber grundsätzlich waren sie immer abhängig von der Verfügbarkeit an vierbeiniger Nahrung. Je nach Klimazone oder lokalem Wetter auch von der Haltbarkeit und Haltbarmachung des Fleisches. In wärmeren Gegenden waren Tiere, deren Fleisch schnell verweste, völlig tabu (Schweine). In den Tundra- und Taigazonen hielt sich das Fleisch durch den Dauerfrost bzw. wurde gepökelt in einer Salzlauge. Die eindeutige Grenze war jedoch ein Zuviel an zu versorgenden Menschen. Der Übergang zur Sesshaftwerdung bildete sich hauptsächlich über den Ackerbau ab. Das domestizierte Tier war schlicht zu kostbar, um es nach seiner Reifung zu schlachten; es wurde zwar in Notsituationen der Essensversorgung geopfert, seine weitaus größeren Vorteile blieben jedoch seine Arbeitskraft (Feldarbeit) und sein Beitrag zum täglichen Lebensunterhalt (Milch und Eier).
Tierhaltung bedeutet zunächst einmal zeitintensive Aufzucht, Platzbedarf und ein Teil der bewirtschafteten Fläche muss als Futterquelle herhalten. Herdenhaltung von Ziegen bzw. Schafen erforderte ständige Bewachung, eine große Weidefläche; und für Aufzucht, Milch- und Wollertrag einen hohen Zeitaufwand. Schon sehr früh in der Viehzucht zeigte es sich, dass nur bestimmte Landstriche und Klimazonen für bestimmte Tierarten geeignet waren. Nördlich der Alpen hat sich mehr das Großvieh durchgesetzt, südlich der Alpen das Kleinvieh. Lediglich eine Tierart unterschied sich von den genannten, da dessen einziger Wert nur auf der Fleisch- bzw. Lederproduktion lag: das Hausschwein. Aber bis weit in die Moderne hinein blieb das domestizierte Tier zunächst was es war: der nützliche Helfer des Menschen. Dieses Tier zu essen, war etwas Besonderes für einen Sonntag, eine Feier, Jahreszeitenwechsel, die christlichen Feiertage. Das änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Fleischhunger beginnt

An dieser Stelle ist es sinnvoll, eine Begrifflichkeit einzuführen, die dem, was nun folgt, ein Bild für das bessere Verständnis unterlegt. Der Mensch denkt in Stunden, Tagen, manche planen Ereignisse für das Jahr voraus. Die Grundlagen der modernen Massentierhaltung liegen jedoch weit zurück, weiter als unser individuelles Gedächtnis sich erinnern kann. Wie oben schon erwähnt, war das Tier als Arbeitskraft und Grundnahrungsmittel-Lieferant wichtiger als ein kurzfristiger Fleischkonsum. Die meisten Menschen lebten von dem, was sie erzeugten. Sie waren verbunden mit ihrer Scholle, vertraut mit dem Leben und Sterben auf dieser Scholle und für diese Scholle. Der Boden, auf dem sie lebten, der sie ernährte, war ihre Heimat, ihre Wurzel. Die Tiere waren Partner, in guten, wie in schlechten Zeiten. Mit dem Beginn der Industrialisierung, der Landflucht der Bevölkerung in die Fabriken und Industriezentren der Städte, entkoppelte sich der Mensch von der Scholle. Diejenigen, die blieben, schafften es nicht, die Entkoppelten zu versorgen. Und die Menschen in der Stadt verloren über Generationen ihre Erinnerungen an die in Jahrhunderten gesammelten Erfahrungen natürlichen Gleichgewichts, dem Auf und Ab biologischer Prozesse inmitten von Klima, Wetter, Schädlingen und Überlebenskampf. Die tiefe Bindung von Mensch, Boden und Tier verlor an Bedeutung und das Kapital verknüpfte sich mit Boden und Tier in Form monetärer Werte und Zinsen. Erster und Zweiter Weltkrieg forderten zusammen annähernd 70 Millionen Tote und Jahre des Hungers folgten in vielen Ländern. Nach dem Zweiten Weltkrieg formierten sich die Umbrüche in der Landwirtschaft zu einem neuen Phänomen: Der Anbau von Feldfrüchten wandert zunehmend nicht mehr in die Mägen der Menschen, sondern in die Mägen der Tiere, und die wiederum werden zur Hauptspeise des Menschen.
Effizienz
Die Transformation von Tierhaltung zur Massentierhaltung macht Effizienz unabdingbar. Die bisherigen Stallformen waren völlig ungeeignet für die Menge an Tieren. Sogenannte Tieflaufställe (Junges Rind kommt in einen tiefergelegten Bereich und ein Jahr lang wird nur Stroh aufgefüllt) oder Durchlaufställe, die verschiedene Altersabschnitte abgrenzen, sind sehr arbeitsaufwändig und von einer kleinen Bauernfamilie in der Menge kaum zu managen. Zunächst musste das Stroh verschwinden, aber Gülle bzw. Jauche trotzdem abgeführt werden. Die Einführung des Spaltenbodens mit darunterliegenden Schiebern stellte eine technische Lösung zur Verfügung, die zuerst per Knopfdruck, später digital ausgelöst wird. Ein weiteres Problem ist die Zufuhr von Futter. In den Großvieh-Ställen verbreiterte man die traditionellen Mittelgänge, um mit Futtermaschinen durchfahren zu können. Mastschweineställe bekamen Futterzuführungen pro Box, die nach Gewicht geregelt werden bzw. heutzutage elektronisch nach Chipdaten pro Schwein. Das Futter kommt über große Schneckentransportsysteme aus Silos und wird in den Vormischern mit entsprechendem Kraftfutter bzw. Medikamenten versehen. Die Kontrolle des lebenden Tieres erfolgt persönlich morgens und abends, alle anderen Zeiten sind Dunkelzeiten. Die Tiere haben in 24 Stunden zwei Mal eine halbe Stunde Neonlicht, ansonsten 23 Stunden Dunkelheit. Dadurch kommt der Tag-/Nacht-Rhythmus durcheinander, es wird viel geschlafen, was das Wachstum – bspw. von Schweinen – bis zur Schlachtreife auf höchstens 132 Tage verkürzt.
Das Schwein auf der Wiese, das sich zusammen mit Hühnern, Küken, Gänsen, Enten, Schafen und Kühen ein Areal teilt, ist das Schwein in Kinderbüchern vom Bauernhof. Der Platz eines Mastschweines ist festgelegt. Es sind 0,5 Quadratmeter bei Mastbeginn und 1 Quadratmeter bei Mastende. Wichtig ist, dass sich alle Schweine seit Ferkelzeiten kennen, denn wenn sie sich fremd sind, nicht riechen können, beißen sie einander tot. In der Enge von wenigen Quadratmetern ist der Stressfaktor enorm hoch; ein weiterer Grund, um Dunkelheit über das Leben dieser Schweine zu legen.
Die Optimierung des Schweins
Es gibt nichts, was man nicht noch verbessern könnte. Als erstes nahm sich der Mensch das Schwein vor. Durch Einkreuzung und Züchtung erhielt das Hausschwein zwei zusätzliche Rippenpaare, gleichbedeutend mit mehr Fleisch. Nach den – aufgrund von Mangelernährung der letzten Kriegsmonate – fettreichen Nachkriegsjahren der 50er, kreuzte man dem Schwein das Fett weg. Fett ist viel weniger durchblutet als Muskelfleisch. Mehr Fleisch durch zwei neue Rippenpaare plus weniger Fett bei gleicher Blutmenge bedeutet bei Stress: Kreislaufkollaps. Die Schweine starben reihenweise an Herzversagen. Das war und ist an der Tagesordnung. Das Schwein wankt wie weggetreten im Kreis, quiekt, setzt sich auf den Hintern, läuft von der Nase her blau an und stirbt. Passiert das während langer Dunkelphasen, und man bemerkt es nicht, wird es von seinen Kollegen aufgefressen, denn es ist nicht das, was sie um sich haben wollen. In der freien Natur ziehen sich die Tiere zum Sterben zurück.
Was hilft dagegen?
Die Lösung ist einfach: Beta-Blocker. Ein Gang durch den Stall mit der Kolbenspritze. Sieht ein Schwein schlecht aus? Eine Injektion Beta-Blocker. Bakterielle Belastungen durch das Leben in der Gülle, denn kein Spaltenboden ist sauber, werden prophylaktisch mit hohen Dosierungen von Breitband-Antibiotika ins Visier genommen. Im Jahr 2011 waren es laut Verbraucherschutzministerium 1.700 Tonnen verabreichte Antibiotika (ohne Dunkelziffer). Im Jahr 2017 ist der Verbrauch offiziell auf 660 Tonnen zurückgegangen aufgrund gesetzlicher Richtlinien; global aber ist der Verbrauch im Jahr zwischen 2000 und 2015 um geschätzte 65% gestiegen, vor allem in Ländern wie China und den USA. Weltweite Zuwächse gab es nicht nur bei vielfach eingesetzten Wirkstoffen wie Penizillin, sondern auch bei Reserveantibiotika wie Linezolid und Antibiotika aus der Klasse der Carbapeneme, die nur zum Einsatz kommen sollten, wenn andere Mittel nicht mehr helfen. Zu diesen extrem wirksamen Breitband-Antibiotika gehört auch Colistin, gegen dessen Wirkung auch in Deutschland eine Resistenz nachgewiesen wurde.
Der Ball ist zu uns zurückgekommen
Das Verdauungssystem von Schweinen ist nahezu identisch mit dem des Menschen. Was das Schwein zu viel aufnimmt, scheidet es wieder aus. Was einmal eine Schutzfunktion gegen niedrig letale Substanzen war, ist nun ein Fluch für den Menschen selbst. Alles an nicht benötigten Medikamenten landet in Form von Gülle und Jauche wieder auf den Feldern oder wird in Biogasanlagen getrocknet, in der Menge reduziert und als Humusbeimischung in Baumärkten verkauft bzw. landet über die Felder im Grundwasser und in ländlichen Gegenden direkt beim Menschen über die jeweiligen Tiefbrunnen. Was sich in Entwässerungsbecken oder Fließgewässern sammelt, ist nach ein paar Tagen im Meer, wo es sich über Plankton, Algen und Fische ebenfalls in unseren Mägen wiederfindet. Der Kreislauf hat sich seit langem geschlossen.
Die Optimierung der Kuh
Was könnte man an einer Kuh optimieren? Ganz klar: die Milchproduktion. Wiederum helfen Einkreuzungen und selektive Züchtung dabei, das Euter einer Kuh zu einer Art Milchfabrik zu machen. Eine Hochleistungskuh der Rasse „Holstein-Schwarzbunt“ kann zwischen 25 und 40 Liter Milch am Tag produzieren. Die Jahresleistung liegt etwa in Dänemark pro Kuh bei 8.400 kg Milch . Dazu ist Hochleistungsfutter nötig, denn mit einem Weidegang ist diese Produktionsmenge nicht mehr zu erzeugen. Alles kann mit sogenannter Silage (vergorene Grünpflanzen), Heu und vor allem Kraftfutter erledigt werden. Das Kraftfutter versorgt die Kuh mit einer enormen Menge an Kalorien, denn 25 – 40 Liter Milch am Tag liegen weit über den genetisch mitgegebenen Voraussetzungen. Die Natur sieht vor, dass 6 – 8 Liter Milch am Tag für ein Kalb ausreichen. Die Leistungszeit einer Kuh beträgt im Durchschnitt fünf Jahre, danach ist sie schlicht und ergreifend ausgelaugt. Da das Hochleistungsleben zäh macht, ist das Fleisch nicht für den Thekenverkauf verwendbar. Diese Kühe verschwinden also in Fleischmühlen und landen in Salami, Separatoren und Kosmetika.
Die Optimierung der Optimierung
Mit CRISPR/Cas9 bekommt die Landwirtschaft endlich das Instrument, auf das sie schon lange wartet, um Pflanzen und Tiere an die modernen Anforderungen anzupassen. Anders als bei der klassischen Gentechnik oder der herkömmlichen Züchtung, können damit präzise einzelne DNA-Bausteine ersetzt werden. Sofern die entsprechenden Gene, ihre Regulation und Funktionsweise bekannt sind, können so gezielt einzelne Merkmale von Nutztieren verändert werden. Mehr Milch, mehr Fleisch, Bakterien-Resistenzen, Dürre- und Hitzetoleranzen, allergenfreie Eier und Milch und vieles mehr ist der nächste Schritt, nicht der übernächste. Bevor der Mensch zur Vernunft kommt, wird er auch diese neue Technik bis zum point of no return ausreizen, weil er sich nicht um die Kausalitäten kümmert.

Wasser

Etwa 97% des gesamten Wasserbestandes auf der Erde sind Salzwasser, nur 2,5% sind Süßwasser. Von diesen 2,5% befinden sich 2/3 in Form von Eis an den Polen, auf Grönland oder den verbliebenen Gletschern. Um aber beim „Verschwinden“ von Wasser nicht auf die falsche Fährte zu gelangen, müssen wir die Begrifflichkeiten genau unter die Lupe nehmen. 20 Kühe, die den Sommer über auf der Weide stehen, nehmen Wasser über das Grünfutter auf und trinken aus Quellen oder Tankwagen eine bestimmte Menge Wasser am Tag. Der Wasserdurchsatz ist nach wie vor im Gleichgewicht, denn sie benötigen nicht mehr als eine adäquate Herde Wildtiere im Wald. Mastfarmen mit 120.000 Hühnern oder 25.000 Schweinen benötigen aber eine sehr große Menge Wasser. Kann der lokale Versorger nicht alles liefern, muss dazugekauft oder eigene Brunnen gebohrt werden. In dieser lokalen Umgebung ist die benötigte Menge Wasser wesentlich höher als die im Durchschnitt zur Verfügung stehende Menge. Wird über einen längeren Zeitraum zu viel Grundwasser entnommen, regenerieren sich die tiefen Quellen nicht. Trockenjahre wie 2018 verschärfen die Probleme. Häufiger auftretende Trockenjahre können Notlagen auslösen. Aber nicht nur Mastzentren wie in Niedersachsen tragen zur Trinkwasserknappheit bei. Ein 30 Hektar großes Getreidefeld mit Weizen erhöht die Wasserverdunstung direkt über dem Boden enorm. Monokulturen wie Mais sind wahre Wasserverschwender. Wasser haltende Bäume, Strauch- und Heckenreihen sind hunderte Meter entfernt und fallen als Schattenspender und Wasserspeicher aus. Wasser als solches geht nicht verloren. Aber sein schnelles Abfließen nach Starkregen spült es über die Flüsse schneller und in zunehmenden Mengen ins Meer. Dort wird aus Süßwasser Salzwasser. Wenn der Kreislauf der Verdunstung über den Ozeanen nicht mehr funktioniert und gleichmäßige Regenfälle ausbleiben, dann haben die natürlichen Wasserspeicher wie Wälder nichts mehr zu tun, trocknen ebenfalls langsam aus und ziehen sich zurück. Das Wasser wird also global nicht weniger, aber dort wo wir es bitter nötig haben, steht es in immer geringerem Umfang zur Verfügung oder teilweise gar nicht mehr (Wüstenbildung in China, Grundwasserabsenkung in Indien oder England). Einen nicht unerheblichen Anteil am Wassermangel haben auch die globalen Mineralwasserproduzenten wie Nestlé.

Der Boden

Grundsätzliches

Egal welchem Thema innerhalb des Komplexes Landwirtschaft wir uns widmen: alles beginnt im Boden und endet im Boden. Deswegen müssen wir uns mit dem Boden beschäftigen; nur dann können wir eine aussagekräftige Verknüpfung zu einem zukünftigen Leben herstellen.
Wie entsteht Boden?
Die Kontinentaldrift sorgt dafür, dass Platten zusammenstoßen. Die eine schiebt sich unter die andere. Was nach oben kommt, ist Fels. So entsteht begehbare Oberfläche. Lag auf dieser Oberfläche ein Meer, ist es nun trocken. Die im Meer abgestorbenen Meerestiere bildeten auf dem Meeresgrund eine Kalkschicht und sind nun an der Oberfläche ein Kalkgebirge oder eine Karstlandschaft. War die Oberfläche dagegen schon über dem Meeresspiegel, ist es der Fels, der aus dem Inneren kommt, etwa Sandstein, Gneis, Granit usw. Einmal Sonnenlicht, Temperatur, Wind und Wetter ausgesetzt, wird aus jedem Fels Boden durch Erosion, mechanischen oder chemischen Zerfall. Die Tiefgründigkeit eines Bodens ist bedingt durch die Länge des Zerfalls und den unterschiedlichen Schichten. Ereignisse wie eine Eiszeit und Gletscherbildung, schaffen auf diesem Boden teilweise neue Böden bzw. Zwischenschichten wie Ton und Lößschichten. Das ist der Boden, auf dem wir wirtschaften.
Kann man auf jedem Boden alles anbauen?
Nein. Neutrale Böden, saure Böden, alkalische Böden, für alle diese Bedingungen gibt es die entsprechende Pflanze bzw. Feldfrucht. Welchen pH-Wert ein Boden hat, erkennen wir an sogenannten Zeigerpflanzen. Böden haben Bodenzahlen. Die schwarze Erde der Ukraine hat die Bodenzahl 100 von 100. Die Ukraine war die Kornkammer der Zaren und der Sowjetunion. Die Schwäbische Alb kommt auf den Höhen auf eine Zahl von 50 – 60, das Rheintal hat an bestimmten Stellen Werte um die 90, ebenso Mecklenburg-Vorpommern. Je höher die Bodenzahl, desto wertvoller der Acker für die Landwirtschaft.
Bis zu welcher Tiefe ist Boden fruchtbar?
Die Schwäbische Alb ist eine Karstlandschaft, durch Pflanzenerosion, Wind, Wetter und Temperatur, wandelt sich ein kleiner Teil der Kalkfelsen zu Boden um. Die meisten Mineralien waschen aus in die unterirdischen Wassersysteme der Alb. Was an „Boden“ bleibt, ist die sogenannte Krume, der Bereich des Bodens, der für die Pflanze wichtig ist. Auf der Alb sind das 5 – 10 cm. Im Rheintal kann das bis Pflugtiefe – etwa 30 cm – gehen, darunter wird der Boden ärmer an Mineralien und vor allem ärmer an Mikroorganismen, die die eigentliche Arbeit im Boden erledigen. Mit was der Landwirt also letztendlich arbeitet, von was unser aller Ernährung abhängt, ist eine äußerst dünne, lebende und hochkomplexe Schicht, die ebensolche Zyklen durchlaufen sollte, wie alle Lebewesen: Ruhephase-Arbeitsphase-Ruhephase. Dieser Rhythmus hat heutzutage keine Gültigkeit mehr. Ebenso wie Maschinen und Tiere, ist der Boden auf dauernde Hochleistung getrimmt.
Kann Boden verschwinden?
Sehr schnell sogar. Ein Teil des Bodens wird von den Pflanzen aufgenommen und in Zellulose oder Lignin verwandelt. Boden verliert also allein durch Pflanzenwachstum an Masse. Ist ein Feld abgeerntet, ist es anfällig für Winderosion. Starke Herbstwinde können enorme Mengen an Krume dorthin tragen, wo sie nicht mehr nutzbar ist. Oberflächenwasser nach Starkregen reißen enorme Furchen in die Krume. Dieser Boden ist verloren, liegt als Sediment in Flüssen, Rückhaltebecken oder Kanalsystemen. Besonders anfällig sind Monokulturen mit großem Pflanzenabstand wie Mais und Zuckerrüben. Falsche Bodenbearbeitung, etwa Pflügen am Hang IN Abflussrichtung, kann ganze Flächen auf einmal zerstören. Zu tiefes Pflügen holt toten Boden nach oben und wendet die lebende Krume in die Tiefe. Dazu kommt die Bodenverdichtung durch stetes und ungeschicktes Befahren mit schweren Maschinen, die nach Jahren bis tief in den Untergrund wirkt und dafür sorgt, dass kaum oder kein Wasser mehr über die kapillare Kraft zu den Pflanzen steigt. Die Austrocknung beginnt und der Landwirt muss wässern, was wiederum für eine Absenkung des Grundwasserspiegels sorgt.
Kann man Erosion beobachten?
Jederzeit. Selbst wenn der Mensch nicht eingreift, ist der Prozess des Bodensterbens aktiv, nur in viel größeren Zeiträumen. Bestes Beispiel ist unser ältester Kontinent: Australien. Die Erosion hat ihn zum größten Teil in eine flache Landschaft verwandelt. Die Krume hat der Wind fortgetragen, niedrige Strauchvegetation harter, verdunstungsresistenter Hölzer ist übrig. Das passiert über Jahrmillionen überall auf der Erde und immer wieder. Die Plattentektonik sorgt jedoch gleichzeitig für neuen Boden. Lediglich den Faktor Mensch hat unser Planet nicht in dieser Rechnung berücksichtigt. Der Weg ist derselbe, ob mit oder ohne uns. Wir erhöhen lediglich die Geschwindigkeit drastisch.
Gibt es besondere Böden?
Oh ja! Vor allem im tropischen Regenwald Amazoniens hat sich ein beschleunigter Kreislauf von Leben und Sterben etabliert. Er basiert auf hoher Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit über das ganze Jahr. Was abstirbt (Pflanzen und Tiere) wird innerhalb kurzer Zeit zersetzt und dem Kreislauf wieder zugeführt. Es baut sich keine dicke Humusschicht auf wie im kühleren Europa. Die Humusschicht ist in Amazonien wenige Zentimeter stark, die Bäume wurzeln flach. Es kommt mehr Wasser von oben als von unten, denn die Bäume erzeugen genug Verdunstung (Wolken), um für ausreichend Wasser zu sorgen. Das Entwässerungssystem umfasst sieben Millionen Quadratkilometer Flüsse, siebzehn Flüsse sind größer als der Rhein. Insgesamt durchfließen 1100 Flüsse das Gebiet. Entwässert wird das überschüssige Regenwasser, das kaum Mineralien aus dem mineralischen Untergrund unter der Humusschicht mitnimmt. Das Wasser ist weitestgehend entmineralisiertes Wasser. Alles Leben spielt sich also innerhalb dieses Zyklus ab. Baumwurzeln und Bodenpilze bilden dabei die Nährstoffaufbereiter und Nährstoffsammler. Fast die gesamten Nährstoffe sind in der Biomasse darüber gespeichert. Das Roden der Biomasse für Land oder Erzminen zerstört innerhalb von wenigen Monaten die dünne Humusschicht. Die hauptsächlich dort angebaute Sojabohne für die Fleisch erzeugenden Betriebe in China und Europa kann nur über eine 100prozentige Ernährung mittels Kunstdünger wachsen. Der Boden selbst ist tot, befreit von jeglichem Leben, rein mineralisch und wertlos für den Menschen. Eine Versteppung beginnt ohne Feldfruchtbau innerhalb eines Jahres.
Was tun wir dagegen?
Momentan? Nichts. Noch ist Boden verfügbar. Vor allem in Afrika und Südamerika. Eine akute Maßnahme zur Nährstoffversorgung ist nicht mehr der Boden, sondern die Düngung. Wir kennen exakt den Verbrauch jeder Feldfrucht auf das Jahr oder den jeweiligen Wachstumsabschnitt. Exakt diese Mengen können wir entweder sektioniert geben oder als Depotdüngung, also Kapseln mit Zerfallsfaktor. Natürliche Maßnahmen wie Wiedereinführung der Drei-Felder-Wirtschaft, Gründüngung, Heckenwuchs 90° zur Windrichtung, Spezialfruchtfolgen mit Stickstoffsammlern, Monokulturen mit Unterfruchtanbau (Milpa-Prinzip der Maya) sind keine Optionen für die großen, kapitalisierten Anbaugenossenschaften in Mecklenburg-Vorpommern. Sie sind eher Nischentechniken im ökologischen Landbau. In der modernen Landwirtschaft geht es immer um das Jetzt, nie um das Morgen oder Übermorgen.
Technik gibt die Antwort in Form der größeren Arbeitsbreite, also weniger Überfahrt pro Hektar mit schweren Schleppern, die Zwillingsfelgen haben, um den Bodendruck zu nehmen, Kombigeräten, die aus drei Arbeitsgängen einen machen, GPS-Technik, die über den Bordcomputer dem Schlepper ein optimiertes Fahrbild vorgibt usw. usf. Am Ende kostet eine solche Schlepper-Geräte-Kombination 350.000 €, die ein Landwirt mit 100-Hektar-Hof in 10 Jahren nicht verdient.

Auswirkungen

Effizienz ist ungleich Effizienz

Pro 100 Kalorien, die eine Weizenpflanze uns Menschen geben könnte, stattdessen aber in einem Tiermagen landet, bekommen wir vom Tier nur ca. 30 Kalorien zurück. Den Rest der Energie benötigt das Tier, um das Fleisch zu erzeugen und sich am Leben zu halten. Für 1 kg Weizen (1,3 kg Brot) werden etwa 1.800 Liter Wasser benötigt, das in unseren Breiten zumeist aus Niederschlägen, kapillaren Zuführungssystemen oder Bodenfeuchtigkeit aufgrund von Temperaturunterschieden kommt. Getreideanbau in trockeneren Gebieten macht Bewässerung unabdingbar. Der „Wasserfußabdruck“ eines Rindes auf der Weide ist vertretbar, der „Wasserfußabdruck“ eines Bullenmaststalles mit 10.000 Tieren oder einer Schweinemastfarm mit 40.000 Tieren ist nicht vertretbar. Im weltweiten Durchschnitt benötigt 1 Kg Rindfleisch 15.000 Liter Wasser, 1 kg Schweinefleisch 6.000 Liter Wasser und 1 kg Hühnerfleisch 4.300 Liter Wasser bis zum Tag der Schlachtung. Das Schlachtgewicht eines Rindes liegt bei etwa 350 kg, das Schwein bringt 100 kg und das Huhn 1,5 kg. Hohe Kraftfutter- bzw. Trockenfuttergaben erhöhen den Wasserbedarf, im Unterschied zum wasserreichen Wiesenfutter.

Wasser/kg in LiterSchlachtgewichtWasser/Tier in Liter
Rind15.0003505.250.222
Schwein6.000100600.000
Huhn4.3001,56.450
Literverbrauch pro kg Fleisch x Schlachtgewicht

Das Wasser ist zwar nicht verloren, aber nicht mehr im menschlichen Kreislauf. Das Problem ist die Wasserentnahme in Mengen, die von regenerativen Grundwassersystemen kaum noch zu liefern ist. Im Kontext eines ungleichmäßigeren Niederschlags (viel Wasser an wenigen Tagen), durch den die natürliche Regeneration der Grundwassersysteme aus dem Gleichgewicht geraten ist, macht sich dann Wassermangel bemerkbar. Je nach Untergrund benötigt Regenwasser mehrere Tage bis einige Monate, um in die Grundwassersysteme zu gelangen.

Status quo

Wir haben bisher die Systemkomponenten „Ackerbau“, „Viehzucht“, „Boden“ und „Wasser“ in einer komprimierten Übersicht betrachtet. Jetzt versuchen wir diese vier Punkte zusammenzuführen und sehen uns die gegenwärtige Lage an. Welche schwerwiegenden Einflussfaktoren bilden die Grundlage für die zunehmend desaströsen Zustände?

  • Auflösung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg in den Industrieländern und stark zunehmend in den Entwicklungsländern.
  • Wegfall der Fruchtfolgesysteme.
  • Rückgang des Leguminosenanbaus (Gründüngung, Stickstoffsammler).
  • Dividendegeführte Kapitalisierung von Saatgut und Folgechemikalien über Anbauverträge.
  • Trennung von Ackerbau und Viehzucht in jeweilige, voneinander abhängige Großbetriebe.
  • Wegfall der bäuerlichen Vermarktung hin zu einer dividendegeführten Vermarktungskette.
  • Von Ratings und Kapital abhängige Gesellschaften bemächtigen sich des pflanzlichen und tierischen Genpools mittels Gentechnik und Patentrecht.
  • Nahezu perfekte Motorisierung und Technisierung vernichten den größten Teil der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft.
  • Wasserentnahme in Gebieten landwirtschaftlicher Hochproduktion senkt den Grundwasserspiegel in dramatischer Weise ab.
  • Etwa 33% (jährliche Steigerung) der weltweiten Anbaufläche werden für den Anbau von Viehfutter verwendet (Europa ca. 60%).
  • Kapitalisierter Viehfutteranbau sucht sich günstiges Land zu günstigen Produktions- und Ausfuhrbedingungen, hauptsächlich in Brasilien und Argentinien. Steuerliche Erträge und Arbeitsplätze werden in diesen Ländern nicht geschaffen.
  • Infolgedessen großflächige Brandrodung der Regenwälder (pro Jahr verschwinden weltweit mehr als 10-12 Millionen Hektar)
  • Landnahme durch Aktienunternehmen und entwickelte Staaten macht die Menschen, deren Land genommen wurde, zu Lohnsklaven ohne Motivation sich selbst zu versorgen. Rohstoffe werden exportiert und als Lebensmittel wieder reimportiert > moderner Kolonialismus > Teilursache für zunehmende Migration!
  • Die ausgelaugten Böden müssen mit teurem Düngemittel der Aktienunternehmen am Leben gehalten werden.
  • Monokulturen erzwingen den Pestizideinsatz > Insektensterben (Bestäubung ist hochgefährdet) > Vogelsterben.
  • Preise sind kapitalisiert über die Warenterminbörsen (Chicago), auf Ernteausfälle wird gewettet, was die Preise in dürrebedrohten Ländern in die Höhe treibt. Dort wo Essen nötig ist, können sich die Menschen es sich nicht leisten > Teilursache für zunehmende Migration!
  • Zentralisierte Subventionen in einer globalen Landwirtschaft zerstören die Produktionsbedingungen in nichtsubventionsfähigen Ländern (große Teile Afrikas) > Teilursache zunehmender Migration!
  • Die aus allen Fugen geratene Fleischproduktion verbraucht Ressourcen wie Energie, Wasser, Gesundheit (Antibiotikaresistenzen) und Sauerstoff in verheerendem Ausmaß.
  • Monokulturen wie Palmölplantagen haben Einfluss auf das Klima und sind Quellen für regionale Wetterkatastrophen.
  • Die industrialisierte Landwirtschaft ist der Hauptmotor des Artensterbens.
  • Überproduktion in reichen Ländern wird erzeugt von Lohnsklaven aus armen Ländern, die ihre Länder verlassen, weil sie mit den Preisen der importierten Lebensmittel nicht mehr mithalten konnten.
  • Direkte vertragliche Bindung von bäuerlichen Familien an die Kombination aus patentiertem Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden von ein und demselben Hersteller wie Monsanto/Bayer, DuPont oder Syngenta, schafft die totale Abhängigkeit durch den Zins. Kommt dann ein Dürrejahr, treibt das viele der Familien in die Katastrophe (sogenannter „Selbstmordgürtel“ Indiens > geschätzt 200.000 Selbstmorde in 10 Jahren).

Wir Menschen

Zwei Kulminationspunkte der Zerstörung unserer Grundlagen kristallisieren sich heraus:

  • Die stetig und unaufhaltsam wachsende Bevölkerung auf dem Planeten
  • Die Kapitalisierung der Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser und in Zukunft Sauerstoff

Erschwerend hinzu kommen die Punkte:

  • Regionales, bestenfalls nationales Denken gegenüber vollständig globalisierten Warentermingeschäften
  • Subventionierung kapitalisierter Systeme
  • Unwissenheit, Blindheit und Ignoranz der Verbraucher in der Masse (Nach-mir-die-Sintflut-Haltung)
  • Abhängigkeit politischer Eliten von wirtschaftlichem Einfluss
  • Konzentration von immer mehr Menschen auf zentrale Punkte (Millionenstädte) > Versorgungsprobleme

Die Vereinten Nationen planen mit vier Varianten in der Bevölkerungsprojektion bis 2100. Eine mittlere Variante geht von durchschnittlich 2,5 Kindern pro Frau weltweit bis 2100 aus, was uns bis 2050 etwa 9,8 Milliarden Menschen brächte und 2100 dann 11,2 Milliarden. Schon ein halbes Kind mehr pro Frau ließe die erwartbare Anzahl auf 16,5 Milliarden steigen. Ein halbes Kind weniger bedeutet hingegen eine Stagnation auf 7,3 Milliarden. Bleibt aber alles so, wie es dem heutigen Niveau entspricht, dann kommen wir 2100 auf 26,3 Milliarden Menschen; und Indien wird China überholt haben. Der Fleischhunger in Deutschland stagniert inzwischen, aber bei 81 Millionen Menschen fällt das kaum ins Gewicht. In China und Indien dagegen ist der Fleischkonsum inzwischen ein Statussymbol und in beiden Nationen zusammen leben momentan 2.740 Millionen Menschen.

Blind, stumm und taub

Wir wollen es nicht sehen. Es ist uns egal. Was kümmern mich nachfolgende Generationen? Sollen die doch anfangen. Egal wie wir den Blickwinkel ändern, wie sehr wir an Argumenten schrauben, wie fest wir die Augen zukneifen, wie gern wir „alternativen Fakten“ glauben, die Grenzen des Planeten sind erreicht, auf manchem Gebiet sogar schon überschritten. Es ist illusionär zu denken, dass einzelne Menschen, Familien oder einige wenige Millionen durch eine reflektierte Lebensweise dieses verselbständigte System, das für einige Wenige so viel Mehrwert abwirft, beeinflussen oder gar verändern können. Wenn alle Fleischesser in Deutschland morgen zu Vegetariern würden oder zusammen mit den existierenden Vegetariern zu Veganern, würde das System ebenso kollabieren, denn Flächen und deren Bodenstrukturen wären diesem neuen Ansturm ebenso wenig gewachsen; vom stark zunehmenden Dünger- und Pestizideinsatz mal gar nicht zu sprechen. Wie sollte Japan, als extrem bergige Insel, auf Dauer Städte wie Tokio mit 38 Millionen Einwohnern im Großraum und 15.600 Menschen pro km² allein von seiner Fläche ernähren? Delhi in Indien mit 25 Millionen, Sao Paulo in Brasilien mit seinen 21 Millionen, und die Zahlen steigen konstant.

Was sind die Fragen?

Die Fragen, die wir uns stellen müssen – und die unweigerlich an unsere Tür klopfen – sind:

  • WAS wollen wir in Zukunft essen?
  • WER soll in Zukunft WAS essen?
  • WEN wollen wir in Zukunft WAS essen lassen?
  • WEM geben wir die Macht über unser Essen?

Insekten?
Die Idee, die Menschen Insekten essen zu lassen, ist eine nette Idee, trägt aber das identische Problem in sich, wie alle anderen Massenernährungsideen. Dort wo zu viel an einer Stelle produziert wird, muss es unweigerlich einen Einsatz von Medikamenten und Pestiziden geben. Heuschrecken für 1,4 Milliarden Chinesen werden nicht ohne bakterielle Komplikationen aufwachsen; mal davon abgesehen: was werden die Heuschrecken fressen und wo wächst es? Das erfordert Wasser, eine Verarbeitung industrielle Kapazitäten mit hohem Ressourcenbedarf und eine energieintensive Logistik. Ein völlig illusionärer Weg, der in die identische Sackgasse führen wird.
Das Meer?
Ernährten wir uns von Plastik, wäre das keine schlechte Idee. Ausgehend von der mittleren Bevölkerungszahl von 11 Milliarden im Jahr 2050, ist es Augenwischerei, an eine Ernährung durch den Lebensraum Meer zu denken. Schon jetzt sind die meisten Fanggebiete leer gefischt, wie etwa vor dem nördlichen Westafrika, wo die EU-Fangflotten der afrikanischen Bevölkerung den Fisch zu nahezu 100% vor der Nase abjagen und so wieder eine Teilursache für Migration fördert. Fischfarmen können die erforderlichen Mengen noch nicht mal annähernd liefern, denn diese Massentierhaltung kämpft mit den gleichen Problemen wie jede Massentierhaltung: Bakterien, Fischkot, Futterlogistik. Zudem gibt es kaum noch Seegebiete, deren Fischschwärme kein Mikroplastik in sich aufgenommen haben und von dessen Wirkung es noch gar keine Langzeitstudien gibt. Auch an diesem Beispiel sieht man sehr schön, dass eindimensionales Denken in die Irre führt.
Dezentralisierung der Landwirtschaft oder: Zurück in die Zukunft?
Propagiert wird von ökologischer Seite eine Verkleinerung all der oben beschriebenen Komponenten. Kleine Betriebe, reduzierte Flächen, Anbaumethoden der Altvorderen, regionale Vermarktung, Fleisch an weniger Tagen bzw. Ernährungsumstellung, Entkapitalisierung der kompletten Struktur, keine Masthaltung in Europa für nach Asien exportiertes Fleisch und noch vieles mehr. Das mag für Regionen mit schrumpfender Bevölkerung funktionieren, solange es keine äußeren Veränderungen wie etwa den Klimawandel gibt. Ein Blick auf den Acker im aktuellen Frühjahr 2019 wird hier einen Strich durch diese mögliche Rechnung machen. Die Grundwasserspeicher sind immer noch nicht voll, das Frühjahr ist schon jetzt viel zu trocken, die Waldbrandgefahr teilweise auf höchster Stufe. Der Mensch hat auch durch seine oben aufgezählten Eingriffe das System schon so weit aus den Fugen gebracht, dass eine Dezentralisierung, ein koordiniertes Zurück für bald 11 Milliarden Menschen ohne Chance wäre. Und dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass in Indien und China der Fleischkonsum weiterhin immens steigt und steigen wird. Und die Auswirkungen auf Landflächen von der Größe Chinas und Indiens bzw. Südamerikas, wo der Hauptfuttermittelanbau stattfindet, werden wir auch hier zu spüren bekommen. Dezentralisierung ist also nur eine lokale Lösung.

Es gibt keine allumfassende Antwort

Wir sind bereits in unbekanntem Terrain und werden mehr und mehr erfasst von Staat und Gesellschaft desintegrierenden Elementen. Dazu zählen Unsicherheiten, Angst, zunehmende Kurzsichtigkeit, Planungschaos, Pflaster-Politik. Strahlende Ahnungslosigkeit übernimmt politische Ämter (Trump, Bolsonaro, Putin), Vertrauen schwindet rapide. Die Basis der Maslowschen Bedürfnispyramide wankt an allen Ecken und Enden, bekommt Risse oder auch nur vermutete Risse. Grund- und Sicherheitsbedürfnisse sind das Hauptthema von Populisten. Beim Essen für momentan 8 Milliarden Menschen geht es ans Eingemachte. Nun betritt auch noch ein sehr mächtiger Mitspieler unser chaotisches Spielbrett: Die sich schnell entwickelnde Klimakrise. Ausgerechnet jetzt, wo wir uns keinen Egoismus mehr leisten können, wächst er wie Pilze aus dem Boden.

Schreibt mir, kommentiert gerne.
Heiko

Quelle mancher Zahlen

Futtermittel | Regenwald | Tabellenübersicht BfELF | Milchleistung

2 Kommentare

  1. Hallo Flusskiesel,

    vielen Dank für den Kommentar. Ja, ich gebe dir recht für den Zeitraum 19tes und 20tes Jahrhundert und da besonders die Vereinigten Staaten, wo gegen Ende des 19ten Jahrhunderts die Chicagoer Schlachthöfe mit dem begannen, was heute ausgeartet ist. Zwar war es Vieh aus Weidehaltung und kam in Trecks bzw. Eisenbahn dort an, doch ihr Leben hatten sie zumeist im Freien verbracht.

    Meine ‚romantische‘ Sicht vezog sich auf die Zeit bis und in den Übergang zur Industrialisierung und Mechanisierung. Die massive Landflucht in die Städte, in die Fabriken, machte ineffiziente Viehhaltung mehr und mehr obsolet. Bis zu diesem Punkt aber besaß das Gros der ‚Bauern‘ nur wenig Fläche, wenig Vieh in kleinen Stallungen und war auf dessen Arbeitskraft angewiesen. Erst wenn diese erschöpft war, nach einem Leben, das wesentlich länger war als heute, dann wurde es Fleisch.

    Grüße
    Heiko

  2. Hallo!
    Ich hätte da zwei Anmerkungen:
    Viehhaltung für die Fleisch- und Milchproduktion wurde früher überwiegend in Landschaften betrieben, die sich für den Ackerbau nur schlecht eigneten (Weidewirtschaft).

    Ich stoße mich an Formulierungen wie:
    > Die Tiere waren Partner, in guten, wie in schlechten Zeiten.

    Das scheint eine romantisierende Darstellung zu sein, wie Uwe Spiekermann zeigt:
    https://uwe-spiekermann.com/2021/07/10/fleisch-im-19-und-20-jahrhundert-ein-langsschnitt-in-thesen/

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