HudRvK | Kapitel 5

Papas Welt

»Rudolf, können wir nicht nach Hause gehen?« Mama zieht mich auf die Seite. Eine Frau mit ganz dickem Bauch und Kinderwagen drückt sich an uns vorbei. Papa bleibt einfach stehen. Seinen Eimer in der rechten Hand, mit dem Leder und den zwei Fensterwischern darin. Eine Zigarette im Mund. Peter Stuyvesant. Er hört vielleicht nicht, dass Mama mit ihm redet. Der O-Bus stoppt mit singendem Motor an der Haltestelle. Ein Mann läuft ohne zu gucken über die Straße und ein Taxi hupt. Der Fahrer wedelte mit den Armen. »Heute ist Samstag«, sagt Mama, »da könnten wir doch in den Wildpark gehen.«
Papa schüttelt den Kopf. »Ich komme bald nach. Edgar hat heute Geburtstag und ich hab versprochen, dass ich vorbeikomme. Er gibt einen aus. Spätestens um fünf Uhr bin ich daheim.«
»Deinen Sohn siehst du gar nicht mehr!« Ich kenne den Ton in Mamas Stimme. Es wird ihr letzter Satz sein. In Papas Augen blitzt es auf.
»Ich kann ihn ja mitnehmen! Dann lernen ihn die anderen auch mal kennen.«
Der Bus setzt die Fahrt fort, die ausgestiegenen Menschen verteilen sich, gehen in den Tchibo, hinüber in den Oberpaur, kaufen sich eine Zeitung am Kiosk. Von Mutter kommt nichts mehr, aber sie lässt meine Hand los und Papa streckt mir seine entgegen. »Komm, Heinrich. Jetzt lernst du alle kennen!« Ich nicke und denke an wegrennen, an ein Nein. Er greift meine Finger und mit einem Ruck geht es los. Mama lächelt mir zu und verschwindet zwischen den vielen Gesichtern der Stadt. Ich spüre ein unsichtbares Gummi, das mich mit ihrem Lächeln verbindet. Umso stärker, je weiter wir uns entfernen. Bis ich Bauchweh bekomme. »Wir sind gleich da«, sagt Papa, biegt um eine Hausecke in eine kleine Gasse mit schmalen Bürgersteigen, gepflasterter Straße, Kippen, Papier, ein alter Schuh im Rinnstein. Er stoppt auf der Hälfte der Länge. Weiter hinten wird die Gasse dunkler. Neben einigen Mülleimern streiten sich zwei Katzen. »Du kannst doch schon lesen«, meint er, »was steht da oben über der Tür?«
Ich schaue hoch. Da hängt ein dreckiger Kasten nicht mehr ganz an der Wand. Aus seiner Seite ragt ein Kabel. Im Kasten leuchten drei Birnen, eine vierte flackert. Es dauert, bis ich das Wort erfassen kannte, denn es ist mir gänzlich unbekannt. »Mmm-ooo-kkaa-sch-tu-bee. Mokkastube.«
»Sehr gut«, lobt Papa mich. »Nichts wie rein.«
Ich betrete eine Welt aus Qualm, lauten Rufen, Lachen, Schweiß und anderen Gerüchen, von denen ich weder eine Ahnung habe noch je haben will. Papa zieht fester, denn alles in mir sträubt sich, diesen Raum zu betreten.
»Rudolf!«, schreit jemand.
»Edgar, alter Haudegen! Wie isset? Hat dich deine Alte gehen lassen?!«, erwidert Papa, lässt mich los und ist mit wenigen Schritten bei den vielen Männern, die an einem hohen Tisch stehen. Wie angewachsen warte ich still. Die Tür noch offen. »He! Kleiner! Mach die Tür zu«, forderte mich ein Mann auf, der rechts am Tisch sitzt. Ich tue, was er mir aufträgt. »Komm her, Kleiner«, sagt er und winkt mich zu sich. Aber ich bleibe stehen. »He, Rudolf! Dein Kleiner ist aber ein Angsthase«, lacht er zu Papa gedreht. Der kommt her und nimmt mich auf den Arm.
»Ist schon richtig so«, erklärte er ihm. »Bei all den Verrückten, die so rumlaufen …«
»Ja, hast ja recht, Rudolf …«
Wir gehen zu einer bunten Maschine an der Wand. Drei Schreiben drehten sich immer wieder und es piept, blinkt und rattert. »Das ist ein Rotomat«, meint Papa und setzt mich auf den Stuhl neben diesem Gerät und bleibt selbst davor stehen. »Weißt du, was der macht?«
»Nein. Was macht der denn?«
»Erst hol ich mal was zu trinken. Was willst du?«
»Apfelsaft?«
Er geht zum hohen Tisch, stellte sich zwischen die anderen Männer und zündet sich eine Zigarette an. Papa lacht, redet, dreht sich zu jedem, klopft mit den Händen auf das Holz. Der Mann hinter dem Tisch füllt etwas in ein Glas und bringt es zum Tisch, an dem ich sitze. »Na, kleiner Mann? Du bist der Heinrich, was?«
Ich nicke.
»Ich bin der Dragan. Wenn du was brauchst, rufst du mich.«
Sein Gesicht ist freundlich, aber ich kann nicht lange in diese dunklen Augen blicken. Es ist wie der Gang in den schwärzesten Kohlenkeller. Ich entdecke nichts dahinter. Plötzlich muss ich pinkeln. »Ich muss aufs Klo«, sage ich. Dragan zeigt mir die Toilette. Als sich die Tür hinter mir schließt, kriecht beißender Geruch in meine Nase. Ich schleiche vorsichtig um die Ecke. Im Rinnstein vor mir liegt ein Mann. Seine Hose ist nass, ein gelber Bach fließt in ein Bodenloch. Der Mann hat sich erbrochen, sagt nichts, die Augen sind geschlossen. Nur Gestank. Stille. Panik kriecht meinen Nacken hoch, die Haare stellen sich auf. Schnell verlasse ich die Toilette und renne zu Papa.

Dragan zieht den Mann am Kragen gepackt aus der Toilette, quer durch den Raum und legt ihn vor der Tür auf dem Bürgersteig ab. Die Männer lachen, ich sitze am Tisch und lausche dem Klicken der bunten Maschine. Ab und zu trinke ich einen kleinen Schluck Apfelsaft und denke an den Mann. Hoffentlich ist er nicht tot. Papa steht am hohen Tisch, redet, lacht und leert ein Bier nach dem anderen. Als mein Glas leer ist, kommt er her.
»Heinrich, wir sehen mal, was der Rotomat macht.«
»Was macht er denn?«, will ich wissen.
Er holt eine Menge Kleingeld aus seiner Hosentasche. »Er schluckt Geld«, sagte Papa.
»Und wohin geht das Geld?«
»Sehr gute Frage.« Mit dem Finger deutet er auf die Seite der Maschine. »Hier drin ist ein Kasten. Die Leute schmeißen ihre Münzen rein. Wieder und wieder«, erklärt er und tippte auf das Metall. Es klingt dumpf. »Wenn nichts drin ist im Kasten, macht es ‚Klack‘!. Wenn aber der Behälter für das Geld voll ist, macht es ‚Klick‘. Verstehst du? ‚Klack‘ bedeutet leer, ‚Klick‘ bedeutet voll.« Ich nicke. ‚Klack‘ ist leer, ‚Klick‘ ist voll. »Wenn es Klick macht, dann spielen wir. Denn dann muss er eine Serie bringen.«
»Eine Serie? Was ist eine Serie?«
Sein Gesicht hellt sich auf. Offenbar freut er sich über die Frage. »Das ist mein Sohn. Immer neugierig. Also …«, er nimmt mich auf den Arm und wir stellen uns direkt vor die sich drehenden Scheiben. »Hier oben in den drei Löchern müssen drei gleiche Sachen kommen, ein Clown etwa. Solange sich die Scheiben drehen, kann man hier unten die Scheiben weiterdrehen, sobald sie stoppen. Wenn es keine drei Gleiche sind, dreht man weiter. Alles klar?«
»Ja«, sage ich vorsichtshalber und überlege, was das mit dem Drehen war.
»Aber der Trick ist, nicht weiterzudrehen, wenn er voll ist«, flüsterte er in mein Ohr. »Dann bringt er die Serie schneller.« Ich ahne, dass dies sein Geheimnis war und er es nun mit mir teilt.
»Was passiert dann?«
Wieder flüstert er. »Dann können wir unseren Pullover drunter halten und gewinnen.«
Ich mache große Augen. Gewinnen hört sich gut an. »Was kann man denn gewinnen?«
Er setzt mich auf den Stuhl. »Na, Geld natürlich.«
Eine Maschine mit Geld drin. Ich denke nach. »Aber wie kommt das Geld da rein?«
Papa seufzt. »Dummerchen. Wir müssen es da reinwerfen. Sonst spielt die Maschine nicht. Aber deswegen warten wir ja, bis es Klick macht, denn das ganze Geld haben die anderen da reingeworfen. Und wir holen es raus.« Papa zwinkert mir zu und strahlt über beide Ohren. Er nimmt eine Zigarette aus der Schachtel, zündet sie an und wirft drei Groschen in den Rotomat.
»Willst du noch was trinken?«
Ich nicke.

»Edgar, du altes Arschloch», schreit jemand. Ich kann das Rattern und Piepen nicht mehr hören. Schnell drehe ich mich um. Ein Glas klirrt, noch eins. Zwischen den Männern wird es unruhig. »Das sagst du nicht noch mal«, erwiderte einer. Vielleicht dieser Edgar. Ich sehe Papa, der zwei Schritte zurückweicht und sich unter einem Glas wegduckt, das in meine Richtung fliegt und unter der bunten Maschine zerschellt. Schnell stehe ich auf und verkrieche mich zwischen Wand und Tisch. »He! Du hättest fast meinen Sohn getroffen!«, brüllt Papa und schubst einen Mann gegen den hohen Tisch. Der holt aus und schlägt zu. Aber viel zu langsam für Papa, der sich wieder wegduckte. Dragan kommt hervorgerannt und versetzt dem Mann einen kräftigen Schlag ans Kinn. Er fiel wie ein Baum zwischen Stühle und Tisch. Ein Aschenbecher rutscht runter, zwei Gläser, die Männer johlen. Dragan hebt den Mann auf und setzt ihn auf einen Stuhl im Eck. Dann geht er wieder hinter den hohen Tisch. Papa kommt her.
»Alles in Ordnung?«
Ich sage nichts. Mir fällt einfach nichts ein. Sogar auf Toilette gehen Blase habe ich vergessen. Er zieht mich hoch und wir stellen uns vor den Rotomat.
»Papa?«
»Hm?«
»Können wir nach Hause?«
Er wirft drei Groschen in die Maschine. »Klar, gleich. Wart’s ab. Bald kommt die Serie. Wir werden Glück haben, wirst schon sehen.«
Ich versuche, das Klick zu hören, dann gehen wir nach vorne zum hohen Tisch. Er setzt mich mitten drauf, zwischen Biergläser und ganz kleinen Gläsern. Dragan kippt immer wieder etwas aus einer Flasche hinein. »Was ist da drin«, frage ich Papa und deute auf ein kleines Glas.
»Schnaps«, antwortet er.
»Schmeckt das?«
»Uns schmeckt es«, ruft der Mann neben uns. »Nicht wahr, Rudolf?«
»Und wie«, bestätigt Papa.
»Ich möchte mal probieren«, sage ich. Um mich herum wird es still. Die Männer sehen mich an, dann Papa. »Bitte! Nur einmal«, drängle ich. »Bitte!«
Papa verzieht den Mund. »Na gut. Ein halbes Gläschen. Du musst es gleich schlucken. Verstanden?« Ich nicke. In meinem Bauch kribbelt es. Die Männer starren gebannt auf mich. Papa trank seines halb leer und reicht es mir. »Hier. Trinken und schlucken.«
Ich nehme das Gläschen, trink in einem Zug leer, schlucke und sofort springt mich ein Feuerdrachen an, reißt an meiner Kehle, entzündet alle Flammen, die er finden kann. Es schüttelt mich fast vom hohen Tisch runter. Papa fängt mich auf. Ich bekomme nicht mal Luft. Jeder Atemzug ist wie noch ein Schluck von diesem fürchterlichen Zeug. In meinem Bauch flogen ganze Bienenschwärme hin und her. Dann übergebe ich mich mit enormer Gewalt. Die Männer springen zurück und Papa hält mich weit von sich. Ich kotze und zapple in der Luft mit beiden Beinen, weiß nicht, wie mir geschieht. Will einfach nicht mehr sein. Auf der Stelle verschwinden, laufen, weinen. Ich denke an Mama.

Papa sitzt neben mir. Ich liege auf einem Holzbett. Mir kommt es vor, als hätte ich geschlafen. »Mein Bauch tut so weh«, stöhne ich. Papa tupft meine Stirn mit einem nassen Handtuch.
»Du hast ein paar Minuten geschlafen«, sagt er. Seine Stimme zittert. Die Tür geht auf und Dragan kommt herein mit einem Glas Cola und zwei Scheiben Brot.
»Hier. Er soll Brot essen. Saugt den Alkohol auf. Dann gib ihm Cola. Beruhigt den Magen.«
Ich lausche, was Papa und Dragan sagen, folge dabei ihren Lippen. Sie bewegen sich nicht zu den Worten. Ich erinnere mich an die Badewanne daheim. Kopf unter Wasser. Dunkel und langsam höre ich Mutter sprechen. Wie das Wasser über mir, so bricht die Angst herein. »Muss ich ins Krankenhaus, Papa?«, frage ich leise, höre mich aber nur undeutlich sprechen. Meine Hand hebt sich, die Finger greifen nach Vaters Ärmel, ziehen daran.
»Was hast du gesagt, Heinrich?«
Ich schließe die Augen, weil mich etwas dazu zwingt. Schlafen. Als ich erwache, drücke ich mich schnell hoch. Eine Hand greift unter meinen Kopf und schiebt einen Eimer vor mich. Ich übergebe mich hinein. Es will gar nicht mehr enden. Dann kommen auch noch Tränen, sie tropfen auf das grüne Zeug. Hustend versuche ich etwas zu sagen, aber eine Hand streichelt meinen Nacken, meinen Rücken. Jemand singt leise ein Lied.
»Mama?«, frage ich in den Eimer hinein und drücke ihn weg.
»Nein«, sagt die Stimme. »Ich bin Ivona. Sieh mich an.« Mein Blick klärt sich. Sie stellt den Eimer beiseite und wische mit einem feuchten Lappen über mein Gesicht. Ihre Augen sind grün, der Mund feuerrot, dunkle Haare. Ihr Lächeln erinnert mich an eine freundliche Figur aus Bambi.
»Was haben sie nur gemacht, diese Idioten?« Ich verstehe, dass es keine Frage an mich ist. Ihr Blick geht durch mich hindurch. Dann kehrt sie zurück und fixierte mich streng. »Warum hast du das nur getrunken?« Ich zucke mit den Schultern.
»Papa trinkt das auch immer. Er muss sich nicht übergeben.«
Ivona schüttelte langsam den Kopf. »Dein Papa ist ein erwachsener Mann. Der kennt den Schnaps. Für dich ist das Gift«, sagt sie eindringlich und packt meine Oberarme. »Verstehst du?« Das Wort Gift sticht mitten in meinen Kopf. Gift. Muss ich jetzt sterben?
»Muss ich sterben?«
Sie blickt überrascht, dann zieht sie mich an sich und drückt fest zu. »Nein, mein Kleiner. Du hast ja alles ausgespuckt. Aber mach das nie wieder!« Sie riecht wie Mamas frisch gewaschene Wäsche. Ihre Wange ist weich und warm. Ich mag sie und schlinge die Arme um Ivona.
»Wo ist Papa?«, frage ich leise.
»Komm.«

Papa singt ein Lied. Zusammen mit allen anderen. Der Raum ist voller Qualm. Ich bekomme kaum Luft und es erinnert mich an neblige Tage, wenn draußen die Blätter gelb wurden. Ivona setzt mich neben den Rotomat. Die Scheiben drehen sich unentwegt, machen eine Pause, fangen von vorne an. »Möchtest du mal was einwerfen?«, fragt sie und zieht ein paar Groschen aus der Tasche. Ich nicke. Sie hebt mich hoch.
»Alle?«, will ich wissen.
Ivona nickt. »Mach ruhig. Wir werden Glück haben, so süß, wie du bist«, grinst sie. Also werfe ich alle Groschen hinein. Die letzte Münze fällt in den Schlitz und ich kann gleich danach Papas Klick hören. Mein Herz begann zu rasen. Wir beobachten zusammen die Scheiben, die umlaufenden Lichter. Ivona gibt mir einen Kuss auf die Backe und drückt mich fest an sich. Dann stoppt ein Clown, der zweite und ich vergesse das Geschrei und den Gesang hinter mir, vergesse den schmerzenden Bauch. Da gibt es nur noch die Scheibe. Sie bleibt stehen. Der dritte Clown. Alles blinkt. Die Maschine dudelt ein Lied, Ivona jauchzt. Dann klackert es auf Höhe meiner Knie. Unmengen von Kleingeld landen von irgendwoher in der Schale, dann quillt sie über. Die Groschen, Fünfziger und Markstücke fallen auf den Boden. Ivona fängt an, sich mit mir im Kreis zu drehen. Sie singt ein Lied, das ich nicht verstehe. Ich sehe Papa kommen. Er schwankt und schiebt Stühle weg, die gar nicht im Weg stehen. »Heinrich!«, schreit er. »Das ist mein Sohn!« Er reißt mich von Ivona weg. Sein Atem stinkt wie das grüne Zeug im Eimer und mir wird wieder schlecht. Schnell entwinde ich mich seinem Griff, lande auf dem Boden. Überall liegen Münzen. Ivona kniet und legt alle sorgfältig in eine Schale.
»Heinrich! Wir haben gewonnen!«, ruft Papa und setzt sich neben uns auf den Boden, den Kopf an die Wand gelehnt.
»Aber Papa, das ist Ivonas Geld«, erwidere ich.
»Ivonas Geld?«, stutzt er.
»Ivona hat mir die Groschen gegeben. Dann hat es Klick gemacht«, erkläre ich.
»Na dann …« Er schweigt und schaut auf einen Punkt vor sich. Ivona hebt mich hoch. Wir holen alle Münzen aus der Schale und legen sie auf den Tisch.
»Immer einen Groschen für dich, einen für mich. Einverstanden?«
Ich nicke. So machen wir es mit den Fünfzigern und den Markstücken. Ich kann schon bis zehn Mark zählen. Ivona sagt, ich solle einfach noch mal zehn Mark zählen, solange, bis alles weg sei. Dragan stellt eine Tasse Fencheltee auf den Tisch und ich zähle wie selbstvergessen all die Münzen. Papa schnarchte mit offenem Mund. Ein kleiner Speichelfaden verfängt sich im Bart. Dann schreibt Ivona die Zahl auf einen Zettel. Wir besitzen beide 36 Mark und 70 Pfennig. Ivona wickelt mein Geld in ein Taschentuch und gibt es mir. Mein Gesicht glüht. Mama wird stolz sein auf mich. Mit der Hand streiche ich über Papas Haare.
»Papa?«
Er hört nichts. Dragan kommt zu uns und hebt ihn hoch, als wäre er ein Bleistift. Über die Schulter gelegt, trägt er ihn vor die Tür und Ivona schiebt mich hinterher. »Dragan hat ein Taxi gerufen«, sagt sie. »Das bringt euch nach Hause.« Der Fahrer drückt Papa durch die Tür auf die Rückbank. Wie ein nasser Lumpen fällt er um und ist nicht wach zu kriegen.
»Du darfst zwar nicht vorne sitzen«, sagt der Taxifahrer, »aber geht nicht anders. Wenn ich sage ‚runter‘, dann kriechst du vom Sitz da unten rein.« Er deutet auf den Fußraum. Ivona gibt mir einen langen Kuss auf die Wange, schlägt die Tür zu und wir machen uns auf den Weg. Jetzt erst sehe ich, dass es schon dunkel ist. Mama wird schimpfen. Doch in meiner Hand ist das Taschentuch. Mein Geld.


Bild von Caroline Dabrunz ©2021

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